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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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mit der Bakerloo Line bis zur Warwick Avenue gefahren und hatte von den letzten dreißig Pfund auf seinem Konto in dem kleinen Spirituosengeschäft an der Formosa Street eine Flasche Champagner gekauft. Millie musste weinen, und sie hatten sich auf dem Sofa geliebt, sanft und vorsichtig. Danach hatten sie Arm in Arm dagelegen und sich im Scherz ausgemalt, was sie alles tun könnten, wenn sein Buch ein Bestseller werden würde. Keiner von ihnen verfügte über die Gabe, in die Zukunft zu sehen. Wie hätten sie also wissen können, dass Millie nur fünf Jahre später, nachdem er eine Million Bücher in über zwanzig Sprachen verkauft und Connie sich tatsächlich als überaus weitsichtig erwiesen hatte, erneut weinend auf dem Sofa – einem anderen, größeren Sofa in einem anderen, größeren Haus – liegen und sagen würde: »Ich wünschte, wir wären wieder arm. Ich wünschte, nichts von alldem wäre je geschehen.«
    Er trank sein Lager aus. Vorwärts. Heute Nacht reiten wir ein. Ey, Barmann, ’ne Flasche von deinem besten Cognac. Und frische Stuten für die Männer.
    Er ging die Carnaby Street runter, links und dann wieder rechts über die Ganton Street. Die Pubs in Soho brummten, platzten nun aus allen Nähten. Vor dem Sun & 13 Cantons standen zwei Polizisten und redeten auf einen Kerl Mitte zwanzig ein, der nicht mehr auf die Füße kam. Warum nehmen Sie keinen Gummiknüppel, Officer?
    Hätte für sie beide, für Millie und ihn, vielleicht alles ganz anders laufen können? Nein, nur wenn sie auch jemand anderes gewesen wären.
    Auch sein Kopf drohte inzwischen zu platzen. Er war die reinste Valium- und Alkohol-Fuzzbox, übervoll von Poesie und Prosa, von Songtexten und Filmzitaten. Die Reaktion seines Gehirns auf das, was ihm bevorstand, schien darin zu bestehen, zu übersteuern – »Clams on the half-shell, feels like prohibition baby, give me the hard sell« –, ein letztes Mal alles auszuspucken, jeden Song, jeden Film, jedes Buch, jede popkulturelle Referenz zu erbrechen, die er je aufgeschnappt hatte. Während er durch die Straßen Londons dem Unvermeidbaren entgegenlief.
    Die Wardour Street. The Ship! Wann war er zuletzt im Ship gewesen? Früher hatten sie hier im Sommer auf dem Bürgersteig rumgesessen und Bier getrunken. Und wieder ging es aus der entsetzlichen Kälte hinein in das Licht und den Lärm eines Pubs. Erneut bahnte er sich, den Zwanziger bereits gezückt, seinen Weg zum Tresen. In den Sechzigern und Siebzigern, als das Marquee gleich die Straße runter gelegen hatte, war dieser Laden mal ein angesagter Rock-’n’-Roll-Schuppen gewesen. The Who, die Stones, sie alle waren hier regelmäßig aufgeschlagen. Mick Jones hatte hier von Bernie Rhodes die Phrase »Complete Control« aufgeschnappt, genau dort an der Bar. Kaum aus der Kneipe zurück und wieder zu Hause, hatte er den Song geschrieben.
    Kennedy bestellte einen großen Whisky und ein halbes Pint Stella. »Halb und halb«, wie man in Glasgow zu sagen pflegte. Ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der Alkohol noch in Gill- beziehungsweise Viertelpint-Maßen ausgeschenkt wurde – lange bevor Kennedy seinen ersten Drink bestellt hatte. Er konnte sich allerdings noch vage daran erinnern, dass sich in den Achtzigern, als er sein Studium in Glasgow begann, einige der älteren Pubs im East End immer noch »Quarter Gill Shops« nannten. Voller Stolz hatte man sich dort dem Ausschenken winziger metrischer Schnäpse verweigert und großzügig nach imperialem Maß bemessen. Imperial Measures – kein schlechter Buchtitel für eine gewisse Art von Genreliteratur.
    Er lehnte sich an die Jukebox und schlürfte seinen Whisky. Glasgow. Er hätte die Stadt gern noch einmal gesehen. Wenn er die Sache etwas mehr durchdacht hätte, wäre er vielleicht noch hingeflogen. Hätte einen Spaziergang durchs West End mit seinen grünen Alleen gemacht, die in seiner Erinnerung immer herbstlich gefärbt waren. Dort, unter den viktorianischen Gotikzinnen der Universität, war er Millie zum ersten Mal begegnet. Sie hatte einen Apfel in der Mensa gegessen. Den Kopf gesenkt, das Haar im Gesicht, war sie stirnrunzelnd in eine Taschenbuchausgabe von Der Regenbogen vertieft gewesen, als er sich mit seinem Tablett voller Pie, Chips und Baked Beans auf den gegenüberliegenden Platz gesetzt hatte.
    »Ein ziemlich schmutziger alter Mann, dieser D. H. Lawrence, findest du nicht?«, hatte Kennedy grinsend gefragt, seine Milch geschüttelt und auf das Buch gedeutet.
    Sie hatte
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