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Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Titel: Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Autoren: Wolf Schreiner
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leisten.«
    »Das ist gut, sehr gut.« Wohlrab schien erleichtert. »Ich muss jetzt weiter, meine Frau wartet. Schönen Tag noch.«
    Baltasar verabschiedete sich. Er ging in die Sakristei. Seltsam. Der Raum war leer. »Sebastian?« Er ging zum Kirchenvorplatz, von dem Ministranten keine Spur. Warum hatte der Junge nicht gewartet? Da kam Baltasar der Menschenknochen in den Sinn, den er auf dem Tisch zurückgelassen hatte – oder irrte er sich? Er hob das Zeitungspapier hoch, sah unter dem Tisch nach, vergebens. Vielleicht hatte der Bub das Fundstück in der Anrichte deponiert. Baltasar riss die Schubladen auf, untersuchte die Regale, nahm sich sogar den Kleiderschrank vor. Nichts.
    Auf dem Stuhl lag ein Stoffknäuel, Baltasar entfaltete es. Der Ministrantenüberwurf. Rosenkranz und Rucksack hatten sich in Luft aufgelöst. Genauso wie Sebastian.
    3
    B altasar zog sich im Pfarrheim um und rief Sebastians Mutter an, um sich nach dem Verbleib des Jungen zu erkundigen. Zu Hause war er noch nicht angekommen. Baltasar gab vor, nur einen neuen Termin für den nächsten Messdienst ausmachen zu wollen, und verabschiedete sich rasch. Teresa, seine polnische Haushälterin, streckte den Kopf zur Tür herein. »Soll ich Ihnen ein belegtes Brot machen? Habe frischen Wacholderschinken vom Metzger.«
    »Danke, ich bedien mich selber. Ist noch Kaffee da? Ich bin noch nicht so richtig wach.«
    »In Isolierkanne am Tisch.« Teresa sprach eigentlich sehr gut Deutsch, ein Ergebnis des Unterrichts in ihrer früheren Heimat Krakau. Ihr voller Name war Teresa Kaminski, sie hatte nach der Scheidung von ihrem Mann einen Job gesucht und war durch Vermittlung der Passauer Diözese in der Gemeinde gelandet. »Was Sie wollen heute Abend zum Essen?«
    »Keine Ahnung. Ein paar Semmeln oder ein Salat würden reichen, ich muss noch mal weg und weiß nicht, wann ich zurückkomme.«
    »Dann werde ich was zaubern. Lassen Sie sich überraschen. Mach eine Kleinigkeit, ist kein Aufwand.«
    Baltasars Misstrauen gegenüber den schwach ausgeprägten Kochkünsten seiner Haushaltshilfe erwachte. »Machen Sie sich keine Mühe, ich kann mir auch unterwegs was besorgen.«
    »Gar kein Thema. Ich koche gern. Ist doch mein Job. Bin dafür da, mich um Sie und das Haus zu kümmern.«
    »Also gut, ich bin gespannt, was Sie auftischen.« Baltasar schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Er brauchte einen klaren Kopf, um zu überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Das Verschwinden seines Ministranten bereitete ihm mehr Sorgen, als er sich eingestehen mochte. Es war nicht Sebastians Art, einfach so abzuhauen.
    Der Junge stammte aus einem Bauernhof etwas außerhalb des Ortes, die Familie bewirtschaftete ihre Felder seit Generationen. Der Vater war auf eine unbeholfene Weise freundlich, wenn er dem Pfarrer begegnete. Er galt jedoch als jähzornig. Seine Frau musste letztes Jahr im Krankenhaus behandelt werden, Prellungen, Blutergüsse und blaue Flecken. Sie sei von der Treppe gestürzt, hatte sie erklärt, ein Versehen, eine Unaufmerksamkeit ihrerseits.
    Vielleicht gab es für Sebastians überstürzten Aufbruch eine harmlose Erklärung. Nicht auszudenken, wenn etwas Schlimmes passiert wäre. War ein Fremder während des Gottesdienstes in die Sakristei eingedrungen? Bleib auf dem Teppich, dachte Baltasar, deine Fantasie geht mit dir durch. Der Junge war zu Fuß gekommen. Er konnte also nicht weit sein. Es sei denn … Baltasar beschloss, nach Sebastian zu suchen.
    Zuerst fuhr er die Strecke zum Grundstück der Familie ab. Aber niemand begegnete ihm. Er drehte um und bog in einen Feldweg ab, der in den Forst führte. Am Waldrand hielt er an. »Sebastian!«, rief er, »hallo, Sebastian!« Die Worte verloren sich zwischen den Bäumen. Ein Spaziergänger kam vorbei. Baltasar fragte ihn, ob er einen Jungen gesehen hatte. Fehlanzeige. Er fuhr wieder zurück zum Ort, versuchte es auf der entgegengesetzten Seite, probierte die anderen Nebenstraßen. Leute grüßten ihn, manche schienen sich zu wundern, wohin der Pfarrer um diese Zeit mit dem Fahrrad wollte und warum er immer wieder neue Wege nahm, ohne erkennbares Ziel.
    Er kümmerte sich nicht darum. Nervosität kroch in ihm hoch. Hielt Sebastian sich irgendwo versteckt? War dem Jungen doch etwas zugestoßen? Baltasar kehrte zurück ins Pfarrheim, rief nochmals bei Sebastians Mutter an, sah sogar in der Kirche und in der Sakristei nach – vergebens. Er lief in der Küche auf und ab, trank eine Tasse Kaffee, lief wieder herum und sah
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