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Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Titel: Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Autoren: Wolf Schreiner
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in den Sinn, wo ein Unbekannter den Opferstock aufgebrochen hatte. Er duckte sich unter die Rückenlehne und schlich langsam zum Ende der Sitzbank. Die Statue der Heiligen Jungfrau Maria sah auf ihn herab, sie schien zu lächeln über sein Gehabe wie ein Indianer auf Kriegspfad. Baltasar spähte in den Gang, konnte im schwachen Kerzenschein aber nichts erkennen. Er hielt die Luft an. Nichts. Wo steckte der Eindringling?
    Baltasar stahl sich zur nächsten Säule, wartete. Noch immer sah er niemanden. Der Opferstock am Eingang war unbeschädigt. Ein Geräusch, ein Kratzen, kam aus der letzten Reihe. Dann wieder Stille. Totenstille. Er versuchte, sich den hinteren Bänken von der Seite zu nähern. Der Dieb musste sich dort versteckt haben. Baltasar war nur noch drei Reihen entfernt. Er konzentrierte sich darauf, ihn gleich zu packen.
    Da spürte er einen Luftzug von der Seite, von der Ecke des Beichtstuhls. Da hatte sich der Übeltäter also verborgen. Zu einem weiteren Gedanken kam er nicht. Bevor er sich auch nur halb dem Versteck zugewandt hatte, traf ihn ein Schlag am Oberarm und ließ ihn zurücktaumeln.
    »Verbrecher!«
    Eine schrille Stimme. Baltasar sah einen Stock auf seinen Kopf niedersausen, duckte sich weg und wurde an der Schulter getroffen. Ein Stromstoß schien durch seinen Körper zu schießen.
    »Dass di traust, du Lump!«
    Er fixierte den Angreifer. Eine zierliche Person, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem schwarzen Kopftuch. Eine Frau. Leicht gebückt stand sie da und holte gerade zu einem neuen Schlag aus.
    »Gibst jetzt auf?«
    Baltasar schaffte es gerade noch, das Handgelenk der Frau zu fassen. Sie trat nach ihm und traf sein Schienbein. Er war überrascht, welche Kraft sie aufbrachte.
    »Lass mi los, du Grattla!«
    Er griff ihren anderen Arm und versuchte den Tritten auszuweichen. »Schluss jetzt, wir sind hier nicht im Wirtshaus!« Seine Stimme hallte in der Kirche nach.
    Die Angreiferin ließ ihren Gehstock fallen, gab allen Widerstand auf. Er zog sie ans Licht. Unter dem Kopftuch lugte das tief gefurchte Gesicht einer alten Frau hervor.
    »Mein Gott, Sie sind’s, Hochwürden.« Die Stimme der Alten hatte sich in ein Flüstern verwandelt. »Ich … Ich hab Sie im Dunkeln gar … gar nicht erkannt. Noch dazu in diesem Aufzug.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Bei der Jungfrau Maria, das habe ich nicht gewollt. Gott ist mein Zeuge. Einen Priester schlagen. Noch dazu in der Kirche! Oh Gott, oh mein Gott!«
    »Nun beruhigen Sie sich doch wieder, es ist ja nichts Schlimmes passiert.« Baltasar rieb sich seinen Oberarm. »Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«
    »Ich … ich wollt ganz früh in die Kirch … damit ich in Ruhe beten kann. Da hab ich eine verdächtige Gestalt gesehen, die sich versteckte … also … ich meine natürlich, ich … ich wusste ja nicht, dass Sie es waren, Hochwürden.«
    »Aber selbst wenn Sie mich nicht erkannt haben – auf Fremde prügelt man für gewöhnlich nicht mit dem Gehstock ein.«
    »In der Zeitung hab ich von dem Einbruch in der andern Kirch gelesen. Da hab ich gedacht, der Bazi treibt sich jetzt bei uns rum und versucht’s schon wieder. Ich hab mich beim Beichtstuhl versteckt und gewartet, was der Dachara … ich meine natürlich nicht Sie … da treibt. Und weil er auf dem Weg zum Opferstock war, wollt ich ihn aufhalten. Zur Jungfrau Maria hab ich gebetet, wie ich da in der Eckn stand, gebetet hab ich, Jungfrau Maria, hilf, gib mir Kraft gegen den Deifi, bitte gib mir Kraft. Aber dass gerade Sie daherkommen …«
    »Nun, das ist meine Aufgabe als Pfarrer. Ich muss die Frühmesse vorbereiten. Sie sind herzlich dazu eingeladen.«
    »Nun ja. Ich muss mal schau’n. Ich hoff, Sie sind mir nicht bös, Hochwürden, ich bitt Sie vielmals um Entschuldigung, es war a Sünd, ich weiß, a schlimme Sünd. Vergeben Sie mir?«
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Sie hatten keine bösen Absichten. Im Gegenteil – Sie wollten einen Dieb stellen. Das war mutig. Bleiben Sie ruhig hier und beten Sie. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich hab zu tun.«
    Baltasar ging in die Sakristei und schloss den Schrank auf. Er kannte die Frau vom Sehen. Sie kam öfter allein in die Kirche, blieb häufig stundenlang auf der Bank sitzen, wobei unklar war, ob sie betete oder schlief. Sie musste weit über achtzig Jahre alt sein, ihr Name war Walburga Bichlmeier. Sie lebte allein außerhalb des Ortes und wenn sie sich mal sehen ließ, dann nur komplett in Schwarz gekleidet. Den Leuten
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