Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
Vom Netzwerk:
Bodendielen, deren Lack von den ruhelosen Füßen so vieler Studenten abgetragen worden war, von Menschen, die er nie sehen oder kennenlernen würde. Er ließ die eigenen Füße über den Boden gleiten, hörte das trockene Scharren der Schuhsohlen und konnte das raue Holz durch das Leder spüren. Dann stand er auf und ging langsam nach draußen.
    Die leichte Kühle des späten Herbsttages drang durch seine Kleider. Er schaute sich um und sah die kahlen, knorrigen Äste der Bäume, wie sie sich in den fahlen Himmel rankten und wanden. Über den Campus zu ihren Seminaren hastende Studenten rempelten ihn an; und er hörte das Gemurmel ihrer Stimmen, das Klappern der Schuhe auf den Wegen, sah die vor Kälte geröteten Gesichter, die gegen den aufkommenden Wind gesenkten Köpfe. Er musterte sie so neugierig, als hätte er sie nie zuvor gesehen, und fühlte sich ihnen zugleich fern und nah. Er behielt dieses Gefühl, als er zur nächsten Unterrichtsstunde eilte, behielt es auch während der Vorlesung seines Professors für Bodenanalyse, behielt es trotz der monotonen Stimme, die vortrug, was in Notizbücher niedergeschrieben und gelernt werden sollte, eine mühselige Plackerei, die ihm jetzt schon fremd zu werden begann.
    Im zweiten Semester dieses Studienjahres meldete sich William Stoner aus beiden Grundkursen Naturwissenschaft ab und schied auch aus dem Studiengang Agrarwirtschaft aus, stattdessen belegte er Einführungskurse in Philosophie und Frühgeschichte sowie zwei Kurse in englischer Literatur.Im Sommer kehrte er wieder auf die Farm seiner Eltern zurück und half dem Vater bei der Ernte; sein Studium an der Universität erwähnte er mit keinem Wort.
    *
    Wenn er, bereits viel älter, auf diese letzten beiden Studienjahre zurückblickte, kamen sie ihm vor wie eine unwirkliche Zeit, die zu jemand anderem zu gehören schien, eine Zeit, die nicht im gewohnten steten Fluss vergangen war, sondern in Brüchen und Sprüngen. Ein Augenblick folgte dem nächsten und war doch von ihm getrennt, wodurch Stoner meinte, der Zeit enthoben zu sein, ihr dabei zusehen zu können, wie sie vor ihm gleich einem großen, sich unstet drehenden Diorama ablief.
    Er wurde sich in einem zuvor ungekannten Maße seiner selbst bewusst. Manchmal betrachtete er sich im Spiegel, das lange Gesicht mit dem Schopf brauner, spröder Haare, berührte die ausgeprägten Wangenknochen, sah die dürren Handgelenke zentimeterweit aus den Mantelärmeln lugen und fragte sich, ob ihn die anderen ebenso lächerlich fanden, wie er es in seinen Augen war.
    Er hatte keine Pläne für die Zukunft, redete aber mit niemandem über diese Ungewissheit und verdiente sich weiterhin bei den Footes Kost und Logis, wenn er auch nicht mehr so lange arbeitete wie noch in den ersten beiden Studienjahren. Drei Stunden am Nachmittag und einen halben Tag am Wochenende ließ er sich von Jim und Serena Foote nach deren Gutdünken ausnutzen; die übrige Zeit beanspruchte er für sich.
    Einen Teil davon verbrachte er in seiner kleinen Dachkammerim Haus der Footes, doch sooft er konnte, kehrte er nach Erledigung der Hausaufgaben und der Farmarbeit zur Universität zurück. Abends spazierte er dann gern über den langgezogenen offenen Vorplatz unter den dort schlendernden, leise miteinander murmelnden Paaren und fühlte sich ihnen verbunden, obwohl er keinen Menschen kannte und mit niemandem redete. Manchmal blieb er in der Mitte des Platzes stehen und schaute auf die fünf riesigen, aus kühlem Gras in die Nacht aufragenden Säulen vor Jesse Hall, die, wie er wusste, Überreste des ursprünglichen, vor vielen Jahren durch einen Brand zerstörten Universitätsgebäudes waren. Grausilbern im Mondlicht, klar und rein, schienen sie ihm ein Sinnbild des Lebensweges zu sein, für den er sich entschieden hatte, so wie ein Tempel Sinnbild des in ihm verehrten Gottes war.
    In der Universitätsbibliothek wanderte er zwischen den Regalen umher, unter abertausend Büchern, und atmete den modrigen Geruch von Leder, Leinen und trockenem Papier ein, als wäre es ein exotisches Parfüm. Manchmal blieb er stehen, zog einen Band aus dem Regal und hielt ihn einen Augenblick in den großen Händen, die noch immer kribbelten beim unvertrauten Gefühl von Buchrücken, Buchdeckel und nachgiebigem Papier. Dann blätterte er ein wenig, las hier und da einen Abschnitt und schlug die Seiten mit steifen Fingern so behutsam um, als könnte er sie in seinem Ungeschick zerreißen und damit vernichten, was sie so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher