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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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beschränkt. Seit längerem bereiten wir unsere Leute vor. Wir müssen ihre vorgefaßten Ansichten teilweise revidieren. Zudem gibt es entgegengesetzte Meinungen. Wir müssen darauf achten, sie nicht in ein Chaos zu stürzen. Wir müssen unsere Glaubwürdigkeit erhalten. Aber wir müssen zurück!«
»Das hört sich so an«, sagte Simak, »als hättet ihr bereits eine Aussicht darauf gehabt.«
Wendolin nickte. »Unsere, nun ja, nennt sie Forscher oder Techniker, sind seit mehreren Generationen mit dem Problem befaßt, einige der hinterlassenen Skaphander wieder funktionsfähig zu machen. Die Atemtanks müssen gefüllt werden. Die Anlage dazu befindet sich kurz vor der Vollendung. Welche Anstrengungen das bedeutet, könnt ihr nicht ermessen. Aber es hat den Anschein, als hätten wir allernächster Zeit einen Suchtrupp auf die Oberfläche entsenden können. Wir rechneten damit, dort eine menschliche Niederlassung vorzufinden. Wenigstens aber hätten wir Zeichen hinterlassen. Das alles ist uns nun abgenommen.«
Die schlichte Selbstverständlichkeit seiner Worte bewegte Gould zutiefst. Zum ersten Mal in seinem Leben empfing er das Gefühl, sein Dasein diene einer Mission. Vor ihm erhob sich unumstößlich und in einer Vollkommenheit, wie sie die Geschichte niemals bewahrt, eine lebendige Wahrheit. In diesem Augenblick begriff er sich als jemanden, der Geschichte erlebt, der sie gestaltet. Die Faszination der Möglichkeit, Lüge in Wahrheit umzuformen, ergriff Besitz von ihm. Gleichgültig, was Random je gewollt, unwichtig Simaks Kalkül. Es konnte für sie nur eine Zukunft geben. Ihre Existenz war nun untrennbar verbunden mit der der Plutonier.
»Wie steht die Bevölkerung dazu?« Simaks Frage klang ungerechtfertigt scharf, wie das Plädoyer eines Staatsanwalts. Der Ton mißfiel Gould. Doch Metahnel kam ihm zuvor.
»Sie werden sich der Einsicht in die Notwendigkeit beugen. Wir haben keine Alternative.«
»Wir«, sagte Simak, »besitzen eine Vorstellung von Demokratie. Wir werden nichts unterstützen, was dem Wollen der Mehrheit widerspräche.«
»Simak!« rief Gould aufgebracht. Um die Situation nicht noch mehr zu komplizieren, verstummte er und verschluckte das Wort Demagoge.
Mit einer Handbewegung schnitt Simak jede weitere Äußerung ab. »Kann ich mit der Bevölkerung reden?«
Wendolin schüttelte den Kopf. »Das hielten wir für unklug. Wir betonten bereits, daß man behutsam vorgehen muß.«
»Ist die Besichtigung der Anlage gestattet?«
Wendolin erhob sich. »Du kannst dich vom Stand der Entwicklung überzeugen.« Hinter ihnen fiel das Tuch über die Pforte. Im Hinausgehen noch hatte Simak Gould einen Blick zugeworfen, der offenbar als Warnung gedacht war.
Als könne sie ihn so besser betrachten, neigte Metahnel den Kopf auf die Seite. »Es ist gut, daß wir Gelegenheit haben, allein zu sprechen. Dein Freund«, sie zögerte, »ist ein besonnener Mensch. Habe ich das richtig ausgedrückt?« Er sagte freundlich: »Simak ist nicht mein Freund.« »Dein Kollege.«
»Er ist Wissenschaftler wie ich. In dieser Eigenschaft hat er sich der Wahrheit verpflichtet.« Er wollte ihr etwas beweisen, woran er selbst zweifelte. Was soll das Gerede, dachte er. Die Wahrheit ist simpel! Was für ein Durcheinander wird es geben, wenn wir mit der Nachricht auf der Erde erscheinen? Anläßlich der Zweihundertjahrfeier seines Todestages wird der Kosmosheld gestürzt. Er schwieg. In seinem Lächeln drückten sich alle Worte aus, die er ihr hätte mitteilen können.
Ganze Scharen in Ehren ergrauter Wissenschaftler, Koryphäen der Weisheit, würden sich korrigieren müssen. Dutzendweis würden Lehrmeinungen unter die Katheder rollen, und es würde sich niemand finden, sie aufzuklauben. Welch ein aufrührerisches Bild, Doktor Gould, hielt er sich belustigt vor.
Sie beobachtete seine Heiterkeit. »War die Lüge für euch lebensnotwendig?«
Ihr Ernst drängte sich ihm auf. »Sie ist es nicht!« rief er.
Mehr noch von ihrem Lächeln als von ihren Worten fühlte er sich gepackt und festgehalten. Die Tatsachen lieferten ihn ihr aus. »Ihm habt ihr ein Denkmal gesetzt, uns nicht! Weshalb seid ihr hier?«
Habt doch mit uns Erbarmen, rief es in ihm. Aber solche Liturgie war lange aus der Mode. Er hätte nun sagen können, wir sind wegen euch gekommen. Wir haben gezweifelt, wenigstens wir. Also haben wir den Eingang gefunden. Vielleicht wäre sie ihm für die kleine Lüge dankbar gewesen. Statt dessen sagte er: »Wir sind aufgebrochen, um zu
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