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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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willst du mir erzählen?
Ein Tisch mit drei Beinen steht besser als einer mit vieren.
    Unterbrochen von einem kurzen, traumreichen Schlaf, des ersten natürlichen, seitdem sie am Morgen jenes fernen Tages erwacht waren, um aufzubrechen, titanische Gasausbrüche zu vermessen, arbeiteten sie mit fanatischem Gleichmut. In die Rinne, die sie endlich geschaffen hatten, floß unbarmherzig der Strom des Schutts. In trügerischer Ruhe lag vor ihnen der Schwanz des Ungeheuers, bereit, wie im Spiel zu zucken oder zum tötenden Schlag auszuholen. Von verzweifeltem Mut getrieben, zerrten sie an dem ungleichen Gegner, und es schien, als wäre es lediglich seiner Langmut zu verdanken, daß er sie nicht abschüttelte und zermalmte.
    Jeder für sich, arbeiteten sie in dem gleichen Rhythmus von Aufnehmen und Fortschleudern, so daß das Poltern der aufschlagenden Steine eine monotone, beziehungslose Aufeinanderfolge ergab. Die größeren Brocken ergriffen sie vierhändig, und ihre Blicke begegneten sich für Bruchteile von Sekunden, kreuzten sich, reflektierend von der Oberfläche des Steins.
    Schweiß verklebte ihm die Lider. Die Hände zitterten unbeherrschbar. Als wollten sie jeden Augenblick auseinanderbrechen, schmerzten die Glieder, der Rücken, der Kopf, selbst die Fußsohlen. Einatmen, ausatmen, strecken, werfen! Von vorn. Noch einmal und noch einmal. Wieder und wieder. Ohne Ende. Einatmen… werfen. Er sah nicht mehr hin. Instinktiv packten seine Hände, schleuderten. Im doppelten Sinne schmerzhaft war jedes Hinsehen. Das Licht der Lampen grellte, und endlos blieben die Steine die gleichen. Sysiphus’ Zeit.
    Irgendwann fuhr sein Arm ins Leere. Er verlor das Gleichgewicht, kippte nach vorn zur Seite über. Sein Blick fiel ins Nichts.
    Zwischen der geborstenen Decke des Stollens und dem Gipfel des Schuttbergs klaffte eine Lücke. Ein Trug? Es war nicht auszuschließen, daß lediglich ein querliegender Brocken das Nachrutschen verhinderte. War das Loch groß genug für eine Hoffnung? Wie im Rausch wühlten sich ihre Hände ins Geröll. Dann hockten sie Schulter an Schulter vor dem Loch, das die Freiheit verhieß.
»Ich begreife nichts«, sagte Demperer. »Dieses Oszillogramm. Hast du so was schon gesehen?«
    »Nee.« Saul hob den Blick nicht von dem Gerät. Fieberhaft durchforschte er sein Wissen nach einer Erklärung. »Wenn du es nicht begreifst«, erwiderte er, »dann begreift es wohl selbst der liebe Gott nicht, was.«
    »Sei nicht so verdammt empfindlich!« schrie Demperer. »Ich habe nur bemerkt, ich begreifs nicht.« Sie spürten beide ihre kaum noch beherrschbare Nervosität.
    »Ulkige Linien«, sagte Saul einlenkend. »Sieht aus wie ein Stück abgebrochener Kamm. Irgendwo hab’ ich so was schon mal gesehen.«
    »Klar«, höhnte Demperer, »irgendwo hast du so was schon mal gesehen, so etwas Ähnliches.«
Saul schüttelte den Kopf. »Nicht so was Ähnliches.« Er rückte ein Stück zur Seite, um einen Blick auf den Außenschirm zu werfen. Auf dem Platz stand die Spinne. »Geh ‘raus, hol ihn«, befahl er.
»Wen?« fragte Demperer. Er witterte eine Idee, und es brachte ihn maßlos auf, ihr blindes Werkzeug zu sein. »Würdest du die Güte haben, mir zu erklären, wen ich holen soll?«
Saul schreckte wie aus tiefen Gedanken auf. »Ich brauche den Lingi«, sagte er, als gäbe es überhaupt keine andere Möglichkeit.
»Hol ihn gefälligst selbst.« Demperer spuckte auf den Fußboden. Aber dann sagte er mürrisch: »Schon gut, ich geh’ ja.« Er erhob sich, schloß das Visier und trottete zur Schleuse. Saul beobachtete ihn, wie er hinaustrat, zum Fahrzeug hinüberschlenderte und mit dem Gerät unter dem Arm wieder zum Vorschein kam.
Noch ehe Demperer den Helm geöffnet hatte, riß ihm Saul den Kasten aus den Händen und schloß ihn an den Zentralcodon der Sonde an.
Hohnvoll distanziert beugte sich Demperer über seine Schulter. Die Geräte ließen auf die Manipulation hin keinerlei Reaktion erkennen. Der Meßschirm des Codon blieb leer. Die Kontrollfelder zeigten stetig sich ändernde Zahlenwerte. Die Differenzen blieben konstant.
»Na also«, sagte Demperer ohne Schadenfreude. »Hast du was anderes erwartet?«
»Still!« schrie Saul. »Halt doch dein gottverdammtes Maul!«
Demperer besaß genug Kosmoserfahrung, um bei solch einem Ton nicht zu widersprechen. Manch einen hatte der Koller erwischt, und ebenso plötzlich, wie er ausbrach, war er wieder verschwunden. Lautlos vorsichtig holte er Atem. Unmöglich, in der
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