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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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bald am Ziel sein.«
Saul schwieg, und so sagte Demperer schließlich: »Ich kann die Sonde noch nicht erkennen.«
Als müsse er einen Überdruck ablassen, atmete Saul aus. Dann fragte er: »Hast du dir mal überlegt, warum diese idiotische Meßsonde gerade alle zehn Jahre einen Rappel kriegt?«
»Wieso?« fragte Demperer ziemlich einfältig zurück. Er war mit seinen Gedanken woanders.
»Genau alle zehn Jahre. Auf die Minute! Seitdem dieses Ding in Betrieb ist. Also seit einhundertsechzig Jahren.«
»Sonnenflecken.«
»Quatsch. Dann hätten wir einen elfjähriger! Rhythmus.«
»Der Große Rote Jupiterfleck, die braunen Flecken.«
»Nee, nee«, sagte Saul, »das haut alles nicht hin.«
»Ist das außer dir schon einem aufgefallen?« erkundigte sich Demperer mit vorsichtigem Interesse. Er war sich nicht sicher, worauf er sich da einließ, und er hatte nicht vor, etwas zu provozieren, was sich hinterher als ausgemachter Blödsinn entpuppen würde.
»Ich bin darauf gestoßen«, erklärte Saul, »als ich herauskriegen wollte, wer die Sonde vor uns repariert hat. Einfach so. Was soll ich dir sagen, Tag und Uhrzeit haargenau zehn Jahre. Ich werde stutzig und suche den Reparaturbericht davor. Du kannst es dir denken. Kurz und gut, seit hundertsechzig Jahren fällt das Ding mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Rahmen. Die alten Teile sind längst erneuert, die Blöcke arbeiten komplett nach dem FredersonPrinzip.« Er zuckte mit den Schultern. »Trotzdem!«
»Komisch«, bemerkte Demperer.
»Der einzige Unterschied«, fuhr Saul fort, »diesmal dauert die Störung an.«
»Tat sie das sonst nicht?«
»Kein Stück. Nach exakt einer Stunde war alles vorbei. Die Sonde arbeitete wieder normal. Die entsprechenden Blöcke wurden selbstverständlich ausgewechselt.«
»Und?«
Saul zuckte mit den Schultern. »Du weißt doch, wie das gehandhabt wird. Das Zeug kommt auf den Schrott. War früher nicht anders. Würdest du dich mit Schrott befassen?«
»Die Berichte geben keinen Hinweis?«
»Keinen.«
»Wir sollten uns der Sache annehmen.«
Saul grinste pfiffig. »Genau das werden wir. Ich habe alles Notwendige eingepackt. Wir werden das Ding mal von oben bis unten durchchecken.«
Wie zwei Jungen, die ein Lausbubenstück planen, brachen sie in Gelächter aus, und Demperer schrie übermütig: »Mann, du bist doch nicht so blöd, wie ich dachte.«
    Canabis stöhnte. Sein Oberkörper sank nach vorn. Er ließ sich auf die Schulter abgleiten und blieb liegen. »Ich kann nicht mehr.«
    Lauretta rutschte über den Schutt auf ihn zu. »Du mußt! Konzentriere dich! Wecke Reserven! Du hast Kraft. Du bist ein Riese an Kraft. Du bist ein Titan. Du bist mein Liebster.« Flüsternd suggerierte sie ihm ihren Willen. Die Schülerin war nicht mehr Schülerin, der Meister nicht mehr Meister.
    Die Beine verkreuzt, den Oberkörper weit vorgeneigt, verharrte er ungewisse Minuten lang. Diese Haltung, in der der Mensch zurückkehrt bis vor seinen Anfang, gewann durch den Umriß des Schutzanzugs etwas Groteskes. »Es ist gut«, sagte er und richtete sich auf. »Ich bin nicht am Ende. Ich habe mich wunderbar erholt. Es hat alles einen Sinn. Wir wollen leben. Die Arbeit tut mir gut.«
    Sie zog ihn zu sich hoch. »Sieh mich an.«
Er folgte ihrem Befehl, und sie blickte in zwei müde Augen, vor deren früherer Tiefe sich Schatten lagerten. Einen endlosen Moment lang erschien er ihr fremd, und Trauer um den Geliebten wollte von ihr Besitz ergreifen. Voller Hoffnung fragte sie: »Bist du enttäuscht von deiner nichterfüllten
Erwartung – von mir?«
    Plötzlich, einem geheimnisvollen Mechanismus gehorchend, lösten sich die Schatten auf, und ihre Trauer erstickte im Keim. Zärtlich umfaßte er mit beiden Händen ihren Helm, beutelte ihn ein wenig und nahm den Rhythmus mit seinem Kopfschütteln auf. »So etwas darfst du dir nicht einreden. Ich verspüre noch die gleiche Sehnsucht wie vor hundertfünfundsiebzig Jahren. Nein – nicht die gleiche. Sie ist stärker geworden, unauslöschlich.«
»Wieso also läßt du dich gehen?«
     
»Habe ich mich gehen lassen? Möglich. Ich habe mich einen
    Gedanken lang gefragt, welche Chance wir noch haben.« »Du hast die ganze Zeit nicht danach gefragt.«
Er lächelte. »Hätte das zu tun nicht geheißen, wie ein Tier zu
    verrecken? Schlimmer, wie ein Stein darauf zu warten, daß Dürre und Regen, Sonne und Frost ihr zermürbendes Werk vollenden, zu warten, bis der Wind die Sandkörner zerstreut hat. Ich habe geschwiegen und
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