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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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hätten sie sich zumindest viel Frust zu Hause erspart … Gleichzeitig weiß er, wie die Antwort auf seine Frage lauten würde, und er merkt, wie ihm schwindlig wird. Er hat aus dem gleichen Grund geschwiegen wie Hannahs Vater, denkt er, sie hatten Angst um uns, sie wollten uns da nicht mit reinziehen …
    Sein Vater setzt wieder an, um noch etwas zu sagen, als zwei Techniker in den Konferenzraum gerannt kommen, beide tragen Schutzanzüge und haben ihre Atemmasken um den Hals. Sie bahnen sich einen Weg zu Hannahs Vater, Lukas hört etwas von »Reaktor 1«, dann stürzt Hannahs Vater auch schon hinter ihnen her zur Tür.
    Das Chaos ist perfekt: Der Direktor hat ein Handy in der Hand und telefoniert, der Anzugträger vom Energiekonzern redet hektisch auf ihn ein, der Bürgermeister leert in schneller Folge ein Sektglas nach dem anderen, Koschinski und Müller haben sich unter dem Tischtuch hervorgearbeitet und versuchen jetzt, wenigstens die Presseleute auf Abstand zu halten, die den Direktor umlagern. Ein paar Gäste drängeln zum Ausgang, als wollten sie bloß noch rechtzeitig weg. Rechtzeitig wofür, fragt sich Lukas, was ist los? Was wollten die Techniker in ihren Schutzanzügen? Er will sich gerade zu seinem Vater umdrehen, als plötzlich Hannah neben ihm steht.
    »Ist das ein Fake, oder was?«
    »Was?«
    »Die Nummer eben, mit meinem Vater – glaubst du, das war geplant? Ich meine, war das abgesprochen mit den Technikern, um die Leute echt in Panik zu versetzen?«
    »Kann sein, aber … es wirkte verdammt echt, als wäre wirklich …«
    Von draußen hören sie, wie eine Alarmsirene losheult, ein regelmäßig an- und abschwellender, durchdringender Ton.
    »Strahlenalarm!«, ruft einer der Werksangestellten im Raum panisch.
    Im nächsten Augenblick fliegt die Tür auf und Hannahs Vater erscheint wieder, seine Stimme klingt heiser vor Anspannung, als er laut verkündet: »Wir haben einen Störfall in Reaktor 1. Ein Kurzschluss im Kühlsystem, wir haben eben die Notabschaltung eingeleitet, aber ich weiß nicht, ob wir … Wir müssen auf jeden Fall evakuieren. Die Leute müssen alle vom Gelände, so schnell wie möglich!«
    »Schalten Sie die Sirene aus und zwar sofort!«, brüllt der Direktor dazwischen. »Das ist doch Quatsch, was Sie da reden! Das ist eine Übung, es droht keinerlei Gefahr, machen Sie eine Durchsage, beruhigen Sie die Leute! Wir können uns das hier nicht leisten …«
    »Das ist keine Übung! Wir reden von einer drohenden Kernschmelze, wenn wir das nicht rechtzeitig in den Griff kriegen«, antwortet Hannahs Vater, ohne zu zögern.
    »Dann kriegen Sie es gefälligst in den Griff, verdammt noch mal!«
    »Ich lasse evakuieren. Die Meldungen sind bereits raus …«
    Von draußen dringt jetzt deutlich die Durchsage herein, die die Menschen auffordert, das Gelände umgehend zu verlassen: »Bewahren Sie Ruhe und begeben Sie sich nach Hause. Halten Sie Fenster und Türen geschlossen. Achten Sie auf weitere Anweisungen.«
    »Das hat Konsequenzen«, stammelt der Direktor, während um ihn herum bereits die Leute aufspringen und versuchen, zur Saaltür oder zu den Notausgängen zu kommen. Der Kameramann steigt auf einen Tisch und filmt drauflos – anscheinend hat er endlich die Szenen, auf die er schon immer gewartet hat.
    Lukas’ Vater zieht Lukas und Hannah mit sich, an der Tür hält Hannah kurz inne und ruft ihrem Vater zu: »Und du, was ist mit dir?«
    »Ich weiß, was ich tue. Kümmere dich um deine Mutter, nehmt das Auto, in der Garage ist eine Alukiste mit den notwendigsten Sachen. Seht zu, dass ihr auf die Autobahn kommt, bevor sie die Straßensperren aufstellen. Lass dein Handy eingeschaltet, ich melde mich!«
    Dann werden sie von den nachdrängenden Leuten auch schon weitergeschoben. Als sie aus dem Gebäude kommen, hören sie über das Heulen der Sirene hinweg bereits das Rotorengeräusch des ersten Armeehubschraubers.
    »Scheiße«, sagt Hannah, während ihr die Tränen übers Gesicht laufen.
    Lukas gibt keine Antwort. Er fasst im Weiterrennen nur nach ihrer Hand, ihre Finger sind eiskalt und klammern sich um seine. Am Tor stolpert er über einen Turnschuh, der mitten auf dem Asphalt liegt, sein Vater reißt ihn wieder hoch. Zu dritt rennen sie weiter inmitten der Gruppe der Flüchtenden.
    Ein einsamer Luftballon schwebt über der Festwiese, der Himmel ist von einem tiefen Blau, ohne eine einzige Wolke.

Epilog
    Die Kühe brüllen schon seit Tagen. Ihre Euter sind dick und geschwollen. Der
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