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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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sich. »Also, das Stichwort heißt Sicherheit. Eigentlich müsste jeder von Ihnen längst wissen, dass …« Er unterbricht sich erneut und fixiert jetzt den Tisch, an dem der Bürgermeister und der Tourismusmanager sitzen, bevor er weiterredet. »… dass es keine Sicherheit gibt. Aber bei einigen von Ihnen weiß ich leider nur zu genau, dass Sie das nicht hören wollen, weil Ihre Interessen anders aussehen …«
    »Dr. Wellner, bitte, was soll das werden?«, versucht der Direktor, ihn zu stoppen.
    Hannahs Vater hebt die Hand und Dr. Schröder verstummt, wenn auch widerwillig.
    »Ich mache es kurz«, fährt Hannahs Vater fort. »Ich bin nicht mehr bereit, für die Gewinnmaximierung dieses Konzerns gefälschte Sicherheitsstudien zu veröffentlichen. Ich bin vor allem nicht mehr bereit, die Gesundheit von Menschen aufs Spiel zu setzen. Ich habe mir diesen Schritt lange überlegt, und ich bin mir über die Konsequenzen, die das für mich haben wird, durchaus bewusst – und, ja, ich habe tatsächlich ein paar Überraschungen für Sie mitgebracht.« Er bückt sich zu der Einkaufstasche und zieht einen Stapel gehefteter Mappen hervor. Den bunten Reiseprospekt, der obenauf liegt, drückt er dem verblüfften Direktor in die Hand, dann eilt er mit schnellen Schritten auf die Gruppe der Presseleute zu. »Ich habe hier die Protokolle der Störfälle, die wir allein in diesem Jahr in Wendburg hatten, die aber nie gemeldet wurden. Außerdem finden Sie im Anhang Material, das belegt, wie wir seit Jahren ausschließlich wirtschaftliche Aspekte vor jede Sicherheitsüberlegung stellen und damit wiederholt Risiken provoziert haben, die schon längst die sofortige Stilllegung des Werkes erforderlich gemacht hätten. Und ich darf Ihnen versichern«, redet er laut weiter, um die entstandene Unruhe zu übertönen, während er bereits die Mappen an die Presseleute verteilt, die sie ihm nur zu gerne abnehmen, »ich darf Ihnen versichern, dass sich die Situation aufgrund der Entscheidung zu einem generellen Ausstieg aus der Kernenergie nochmals deutlich verschärft hat. Die beteiligten Energiekonzerne setzen jetzt alles daran, in der noch verbleibenden Laufzeit den höchstmöglichen Profit abzuschöpfen, ohne jegliche Bedenken wegen der dadurch noch weiter ansteigenden Risiken. So viel zum Thema Sicherheit von Kernkraftwerken, machen Sie das Beste daraus. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung – und ich werde sicher genug Zeit für Sie haben, da ich heute Mittag mit sofortiger Wirkung meine Kündigung eingereicht habe.« Er dreht sich zu dem Direktor, der fassungslos versucht, die Kontrolle über das Geschehen zurückzugewinnen. »Der Brief muss schon auf Ihrem Schreibtisch liegen.«
    Der Tumult, der jetzt losbricht, ist gewaltig.
    Koschinski und Müller wollen auf einen Zuruf des Direktors hin offensichtlich nach vorne stürmen, um den Presseleuten die Mappen wieder abzunehmen, aber Hannah lässt direkt vor Koschinski ihr Tablett fallen, Koschinski stolpert und rutscht weg, Müller kann nicht schnell genug stoppen, prallt mit seinem Kollegen zusammen und stürzt dann seitwärts ins Buffet. Wenn Lukas es in der Sekunde danach richtig mitbekommt, ist es Hannah, die mit einem Ruck das Tischtuch wegzieht und Koschinski und Müller damit unter den Platten mit Käsehäppchen und Fischfrikadellen begräbt.
    Im gleichen Moment steht Lukas’ Vater auf und ruft in den Tumult hinein: »Für mich gilt das Gleiche. Auch ich habe heute meine Kündigung eingereicht. Und … äh …« Lukas’ Vater ist es nicht gewohnt, vor vielen Leuten zu sprechen, er blickt sich unsicher um, bevor er die nächsten Sätze dann so schnell hervorstößt, dass selbst Lukas Mühe hat, ihn zu verstehen, zumal die Unruhe nach dieser Nachricht eher noch weiter angestiegen ist. »Ich möchte mich kurz vorstellen, mein Name ist Arnold, ich bin hier in der Verwaltung als Sachbearbeiter, seit neun Jahren jetzt, nächste Woche werden es zehn, und ich bin unter anderem zuständig für die Auftragsvergabe an Zulieferfirmen und … äh … Meine Tochter hat Leukämie!«, setzt er unvermittelt hinzu und greift nach einem Weinglas, um dessen Inhalt in einem Zug hinunterzustürzen.
    Als sein Blick Lukas streift, verzieht er sein Gesicht zu einem entschuldigenden Lächeln. Lukas fällt nichts Besseres ein, als zu nicken und den Daumen zu heben. Mann, Alter, denkt er, ich fürchte, ich bin es, der sich entschuldigen muss! Aber warum hat sein Vater nichts gesagt? Dann
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