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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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Aber bevor er noch weiter darüber nachdenken kann, sagt Jannik: »Du glaubst gar nicht, wie ich das Teil hasse!« Eilig schiebt er das Moped weiter, als wollte er das Kraftwerk auf keinen Fall noch länger im Blickfeld haben.
    Lukas gibt keine Antwort. Wozu auch? Jannik ist nicht der Einzige, dem es so geht. Deshalb machen sie die Aktion hier ja überhaupt!
    Hinter ein oder zwei Fenstern flackern noch bunte Fernsehbilder über Decken und Wände, sonst scheint ganz Wendburg im Tiefschlaf zu liegen. Nicht mehr lange, denkt Lukas. Der Schock wird sie aus ihren Betten reißen und den Albtraum wahr werden lassen, den jeder hier schon tausend Mal geträumt hat. Er streicht mit der Hand über das Megafon unter seinem Arm, als wollte er sich vergewissern, dass es noch da ist.
    »Okay.« Schwer atmend bleibt Jannik stehen. »Das reicht jetzt, oder?«
    Lukas nickt.
    Links von ihnen ist der Supermarkt mit der Tankstelle davor, gegenüber geht die Sackgasse zum Sportplatz und zur Grundschule ab. Weiter die Straße hinunter kommen nur noch Wiesen und Felder.
    Jannik blickt auf seine Uhr. »Zwanzig vor. Sauber getimt, würde ich mal sagen. Wenn wir in zehn Minuten starten, haben wir noch mal genau zehn Minuten für unsere Nummer. Länger brauchen wir nicht.«
    »Länger dürfen wir nicht brauchen! Wenn die Sirene mit dem Alarm loslegt, bleibt uns nicht mehr viel Zeit, bevor hier die Hölle los ist. Dann müssen wir weg sein! Wir machen es genauso, wie wir geplant haben: Einmal die ganze Hauptstraße hoch, eine Runde um den Marktplatz und dann durch die Gasse hinter der Kirche – und weg.«
    »Hauptsache, Alex versemmelt nicht noch irgendwas. Bist du dir sicher, dass wir uns auf ihn verlassen können? Mann, wieso meldet der sich nicht? Er muss doch längst da sein, sonst können wir’s vergessen! Wenn er nicht …«
    Lukas hebt die Hand. Das Handy in seiner Hosentasche vibriert. Genau zwei Mal.
    »Das ist er«, sagt Lukas. »Es geht los. Wirf die Karre an, nun mach schon!« Er merkt, wie nervös er plötzlich ist.
    Jannik tritt den Kickstarter. Ein kurzes Knattern, sonst nichts. Und noch mal. Wieder nichts.
    »Der Benzinhahn!«, ruft Lukas.
    »Mist, Mann! Ich bin echt fertig, tut mir leid, Alter …«
    Jannik bückt sich und legt den Benzinhahn um. Beim nächsten Versuch kommt der kleine Motor sofort. Jannik reißt den Gashebel auf. Der Auspuff spuckt eine stinkende Benzinwolke über den verlassenen Parkplatz.
    »Ganz ruhig, Mann«, sagt Lukas. »Jetzt nicht die Nerven verlieren!«
    Sie ziehen sich die Kapuzen über den Kopf. Lukas klettert hinter Jannik auf den Sitz. Als Jannik schließlich mit einem Ruck anfährt, hebt das Vorderrad kurz vom Boden ab. Lukas kann sich gerade noch festhalten.
    Knatternd biegen sie ohne Licht auf die Hauptstraße ein. Im gleichen Moment dringt auch die Sirene vom Rathaus herüber. Ein fieser Ton, der durch Mark und Bein geht. Fünfzehn Sekunden. Aber die sollten reichen, um jeden braven Bürger von Wendburg aus dem Schlaf zu reißen. Hoffentlich.
    Als sie kurz vor der Dorfkneipe sind, nimmt Lukas das Megafon hoch und hält es vor seinen Mund. Mit dem Daumen drückt er den Einschaltknopf. Seine Stimme klingt krächzend aus dem Lautsprecher, er gibt sich Mühe, einen offiziellen Tonfall hinzubekommen.
    »Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Im Kernkraftwerk hat sich ein Störfall ereignet. Schließen Sie Fenster und Türen und bleiben Sie in Ihren Wohnungen. Achtung, Achtung! Das ist keine Übung! Schalten Sie unverzüglich Lüftungen und Klimaanlagen aus. Bewahren Sie unbedingt Ruhe und warten Sie auf weitere Anweisungen! Es besteht kein Anlass zur Panik. Wir haben alles unter Kontrolle. Achtung, Achtung! Im Kernkraftwerk hat sich ein Störfall ereignet …«
    Sie sehen, wie in einem Haus nach dem anderen das Licht angeht. Vereinzelt können sie Menschen hinter den Fenstern erkennen, die aufgeregt versuchen, den vermeintlichen Polizeiwagen auf der Straße auszumachen. Jannik und Lukas passieren den Videoladen, die Post, das Friseurgeschäft, die Fleischerei. Jetzt sind sie mitten im Ortskern. Jannik lenkt das Motorrad zum Marktplatz hinüber.
    Ein Mann kommt vom Kriegerdenkmal neben der Kirche auf sie zugetorkelt. Er ist so betrunken, dass er sich nur hilflos im Kreis dreht, als Jannik gerade noch einen Schlenker machen kann, um den Zusammenstoß zu vermeiden.
    Lukas nimmt wieder das Megafon. »Achtung, Achtung! Schließen Sie Fenster und Türen! Bleiben Sie in Ihren Wohnungen! Schalten Sie
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