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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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Stoffen belastet, und von dem radioaktiven Müll, von dem keiner weiß, wohin damit.
    » TODSICHER « stand auch auf dem Banner, das die Leute von Greenpeace kurz nach der Katastrophe in Japan an einem der Kühltürme befestigt haben. So ganz nebenbei hätte es da auch jeden stutzig machen müssen, dass die Greenpeace-Aktivisten offensichtlich ohne größere Probleme auf das Gelände marschieren, am Kühlturm hochklettern und sich mit dem Banner wieder abseilen konnten. So viel zum Thema »Sicherheit vor Terroranschlägen«! Aber vielleicht hat es die Leute hier ja auch tatsächlich stutzig gemacht. Nur dass das Ergebnis dann ganz anders war, als man erwarten sollte. Nach der Räumung haben nämlich brave Wendburger Bürger noch am selben Abend einen der Aktivisten fast krankenhausreif geprügelt. Gut, schön blöd von dem Typen, sich ausgerechnet in der Kneipe blicken zu lassen, um mit Leuten zu reden, die ganz bestimmt nichts davon hören wollen, dass sie auf einem Pulverfass sitzen. Weil sie es im Stillen ganz genau wissen und nur nicht wahrhaben wollen. Weil es so einfacher für sie ist.
    Aber was Lukas nicht kapiert, dieser offensichtliche Hass, der die Leute sogar gewalttätig werden lässt.
    Natürlich hat sich die Situation jetzt verändert, seitdem klar ist, dass alle AKW s abgeschaltet werden. Wobei es genauso gut sein kann, dass der Beschluss auch wieder aufgehoben wird. Wäre nicht das erste Mal, dass so was passiert. Und in jedem Fall bleibt Wendburg bis zum bitteren Ende am Netz. Noch mindestens zehn Jahre! In denen es um nichts anderes mehr geht, als den größtmöglichen Gewinn abzugreifen, solange es die Chance dazu gibt. Sicherheit rechnet sich da eher weniger, Hauptsache, sie verdienen noch mal ordentlich. Jeder weiß, dass die Sache genauso läuft und nicht anders. Aber trotzdem tun alle so, als gäbe es jetzt keinen Grund mehr, sich noch weiter aufzuregen oder irgendwas zu unternehmen. Als sei jetzt alles in Ordnung, wenn nicht »irgendwelche grünen Spinner« immer noch für Panik sorgen würden.
    Schon klar, dass nicht alle in Wendburg so denken, und die meisten würden nicht im Traum darauf kommen, irgendjemanden zu verprügeln, der eine andere Meinung vertritt. Aber sie selbst vertreten eben gar keine Meinung!
    Lukas’ Vater ist das beste Beispiel dafür. Für die schweigende Mehrheit, für die ewigen Jasager. Das Schlachtvieh. Dabei ist er nur Buchhalter im AKW , einer aus der Verwaltung, der null Interesse an Technik hat. Physik. Kernkraft eben. Er macht einen Job, den er genauso gut irgendwo anders machen könnte. Und wenn das AKW wirklich stillgelegt wird, muss er das ja sowieso. Also warum dann nicht jetzt gleich? Noch ist er nicht zu alt, um was anderes zu finden! Aber die Uhr tickt. Wahrscheinlich ist es genau das, was Lukas nicht versteht. Warum sein Vater nicht wenigstens jetzt noch weggeht, warum sie nicht schon längst irgendwo anders hingezogen sind. Weg aus Wendburg, weg vom AKW .
    Bei Janniks Vater ist das vielleicht anders, er will auf dem Hof bleiben, der schon seinem Vater gehörte und davor dessen Vater. Das ist zwar bescheuert, aber irgendwie noch nachvollziehbar. Aber für jemanden, der zufällig in Wendburg gelandet ist, weil er sich in einer größeren Stadt kein eigenes Häuschen leisten konnte, macht das Ganze keinen Sinn. Selbst wenn sie dann irgendwo anders wieder zur Miete wohnen müssten, wäre das ja wohl immer noch besser, als einfach hierzubleiben und den Kopf in den Sand zu stecken. Und bei seiner Mutter ist es eigentlich noch bescheuerter! Sie hat nur noch Angst, und sie sieht jeden Tag, wie Karlotta immer kränker wird, sogar ihre Ehe ist deshalb schon so gut wie in die Brüche gegangen – aber macht sie irgendetwas, um ihre Situation zu verändern? Nein, tut sie nicht. Und die einzige Erklärung, die sie dafür hat, ist: Sie habe ihren Job hier als Lehrerin und so schnell finde sie keine neue Schule. Und jetzt mit Karlottas Krankheit schon gar nicht. Da sei sie darauf angewiesen, dass das Kollegium Verständnis hat, wenn sie mal einen Tag fehlt, weil sie sich um ihr krankes Kind kümmern muss …
    Fuck!, denkt Lukas. Wir drehen uns alle im Kreis. Wie ein Goldfisch im Glas, der jeden Tag wieder seine Runden dreht und denkt: Huch! Wie sieht denn das hier aus? Hier war ich ja noch nie! Aber das gefällt mir gar nicht, da schwimm ich doch lieber schnell weiter. Nur dass es leider nichts hilft, weiterzuschwimmen, wenn man in Wirklichkeit immer wieder am selben
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