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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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wäre jeder Widerspruch ohnehin umsonst. Sie greift nach der Dose mit dem Kaffeepulver und füllt wortlos die Espressomaschine.
    »Espresso ist klasse«, sagt Koschinski und setzt sich ebenfalls hin. Lukas überlegt, ob er unter irgendeinem Vorwand nach draußen verschwinden und seinen Vater anrufen soll. Der ist zum Einkaufen in die Stadt gefahren. Aber was soll er ihm am Handy sagen? Komm schnell zurück, hier bei uns sind gerade zwei Typen aufgetaucht, die irgendwie komisch sind? Und wenn sein Vater fragt, was sie wollen, was soll er dann sagen? Weiß ich auch nicht? Er weiß doch, was sie wollen! Jedenfalls glaubt er es zu wissen. Er weiß nur nicht, ob man einfach sagen kann: Nee, passen Sie mal auf, so läuft das nicht. Sie gehen jetzt bitte wieder. Und zwar ohne Kaffee …
    »Und Sie sind also Lehrerin?«, wendet sich der Typ mit der Lederjacke an Lukas’ Mutter. »Hier in Wendburg an der Grundschule, ja?« Als ob er das nicht schon längst wüsste! »Kein leichter Job, denke ich mal«, redet er weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Die Kinder sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Obwohl es hier im Ort ja wahrscheinlich recht friedlich zugeht. Verglichen mit der Großstadt, meine ich.«
    Lukas’ Mutter nickt kurz. »Das kommt darauf an«, sagt sie.
    »Worauf?«, hakt Koschinski sofort nach.
    Die Espressomaschine zischt. Lukas’ Mutter füllt zwei Espressotassen und stellt sie auf den Tisch.
    Lukas sieht, dass ihre Hände zittern.
    »Ob man seinen Beruf ernst nimmt oder nicht, wie überall«, antwortet sie dann, während sie das Glas mit den Zuckerpäckchen vom Regal nimmt, die Lukas und Karlotta früher immer im Urlaub gesammelt haben. Als sie noch alle zusammen Urlaub gemacht haben. Als noch alles in Ordnung war.
    »Nein danke, nicht für mich«, sagt Müller und hält die flache Hand über seine Tasse.
    »Für mich kann es nicht genug Zucker sein.« Koschinski studiert die Aufschrift auf dem Würfelzucker. »Aus Frankreich«, sagt er und reißt das Papier auf.
    »Was soll das?«, fragt Lukas’ Mutter jetzt. »Ich glaube, ich würde jetzt gerne mal wissen, was Sie eigentlich von uns wollen. Denn Sie sind bestimmt nicht hier, um über Würfelzucker zu diskutieren, oder?«
    »Wir versuchen nur, in ein Gespräch mit Ihnen zu kommen«, sagt Koschinski. »Aber bitte, machen wir es konkret: Ihre Tochter ist an Leukämie erkrankt?«
    Die Frage kommt so unvermittelt, dass Lukas zusammenzuckt. Auch seine Mutter braucht einen Moment, bis sie reagiert. Aber dann ist ihre Stimme fast unhöflich. »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht …«
    »Sehen Sie«, mischt sich Müller wieder ein. »Das ist wie ein großes Puzzle und wir sind gerade dabei, die Einzelstücke zusammenzufügen, bis sich hoffentlich ein klares Bild ergibt. Deshalb stellen wir diese Fragen.«
    »Sie wissen doch sowieso schon alles«, stößt Lukas zwischen den Zähnen hervor. Er ist so angespannt, dass er die Hände zu Fäusten geballt hat. »Ja, meine Schwester ist krank, sie hat Leukämie, das ist Blutkrebs, entsteht im Knochenmark, eine Überproduktion weißer Blutzellen, die hoch bösartig sind und sich nach und nach in allen Organen festsetzen. Leber, Milz, Lymphknoten, überall, und ohne Behandlung führt Leukämie innerhalb weniger Monate zum Tod. Mit Behandlung dauert es ein bisschen länger …«
    »Bitte, Lukas, ja?«, versucht seine Mutter, ihn zu unterbrechen.
    Aber Lukas beugt sich über den Tisch und blickt Koschinski und Müller direkt an. »Und die Ursache für diese Krankheit können unter anderem radioaktive Strahlen sein, die gerade bei Kleinkindern so gefährlich sind, weil die Organe noch gar nicht fertig ausgebildet sind. Komisch, oder? Dass ausgerechnet hier in Wendburg inzwischen mehrere Kinder Leukämie haben, meine ich? Da fragt man sich doch, woher das kommt? Gibt es hier vielleicht irgendwo radioaktive Strahlung? Na, fällt Ihnen dazu was ein?«
    Koschinski hebt die Hand, als wolle er Lukas beruhigen. Im gleichen Moment hören sie Karlottas Weinen aus dem oberen Stockwerk.
    »Es ist alles gut, ich komme!«, ruft Lukas’ Mutter sofort und eilt die Treppe hinauf.
    »Schöner Vortrag«, sagt Müller zu Lukas, als seine Mutter außer Hörweite ist. »Aber jetzt komm mal wieder runter. Wir sind ja auf deiner Seite, ist doch klar, dass euch das fertigmacht mit deiner Schwester, das verstehen wir ja …«
    »Das glaube ich kaum«, sagt Lukas. Seine Stimme zittert, am liebsten würde er nach den Kaffeetassen greifen
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