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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst
Autoren: Dean R. Koontz
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mitkriegen, was passiert ist.«
    Zu Dustys Erleichterung und Verwunderung war nicht die ganze Nachbarschaft zusammengelaufen, um das Drama zu beobachten. Wahrscheinlich waren die Leute zu dieser frühen Stunde noch damit beschäftigt, Kaviarmuffins zu essen und Champagner und Orangensaft aus goldenen Bechern zu trinken. Glücklicherweise machten Dustins Auftraggeber – die Sorensons –, auf deren Dach Skeet mit dem Tod liebäugelte, gerade Urlaub in London.
    »Morgen, Ned«, sagte Dusty.
    »Hurensohn«, entgegnete Motherwell.
    »Wer, ich?«
    »Er«, sagte Motherwell und deutete zu Skeet hinauf.
    Mit einem Meter fünfundneunzig Körpergröße und zweieinhalb Zentnern Lebendgewicht war Ned Motherwell einen halben Kopf größer und fast einen Zentner schwerer als Dusty. Seine muskelbepackten Arme sahen aus, als wären unter seinen Vorfahren einige schwere Zugpferde gewesen. Trotz des kühlen Windes trug er über dem kurzärmligen T-Shirt keine Jacke. Wettereinflüsse sorgten Motherwell ungefähr so sehr, wie das eine Granitstatue bekümmern würde.
    Motherwell tippte gegen das Handy, das er am Gürtel befestigt hatte, und sagte: »Verdammt, Boss, ich hab dich vor einer halben Ewigkeit angerufen. Wo warst du?«
    »Du hast mich vor zehn Minuten angerufen, und ich war da, wo man rote Ampeln missachten und Schulkinder auf Fußgängerüberwegen umnieten muss, wenn man schnell sein will.«
    »In diesem Viertel gilt Tempo vierzig«, belehrte ihn der Wachmann mit wichtiger Miene.
    Motherwell blickte finster zu Skeet Caulfield hinauf und schüttelte drohend die Faust. »Mann, wenn ich diesen Dreckskerl in die Finger kriege.«
    »Er ist bloß ein konfuser Kindskopf«, sagte Dusty beschwichtigend.
    »Er ist ein mit Drogen vollgepumpter Spinner«, sagte Motherwell.
    »In letzter Zeit war er clean.«
    »Er ist eine Kloake.«
    »Du hast doch ein großes Herz, Ned.«
    »Ich hab vor allem einen klaren Kopf, den ich mir nicht mit Drogen vernebeln werde. Und ich will keine Leute um mich haben, die sich selbst so zugrunde richten wie er.«
    Ned, der Vorarbeiter der Kolonne, war ein Straight Edger. Diese aus der Punkrock-Szene der achtziger Jahre entstandene und ständig wachsende Bewegung verlangte von ihren Anhängern – meist männlichen Teens und Twens –, dass sie auf Drogen, Alkoholexzesse und zügellosen Sex verzichteten. Sie fuhren statt dessen auf Hardcore-Rock und Slam-Dancing ab, und ihr Credo lautete Selbstbeschränkung und Selbstachtung. Bestimmte Strömungen des Establishments hätten die Straight Edgers vielleicht als beispielhaft für eine positive Jugendkultur empfunden – wären diese nicht entschieden gegen das System an sich und gegen die beiden großen Parteien insbesondere gewesen. Gelegentlich, wenn sie in einer Disco oder auf einem Konzert einen Kiffer erwischten, machten sie kurzen Prozess und prügelten den armen Kerl windelweich, eine Gewohnheit, die allerdings wenig geeignet war, um sich in einer bürgerlichen Gesellschaft lieb Kind zu machen.
    Dusty mochte sowohl Motherwell als auch Skeet, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Motherwell war intelligent, witzig und zuverlässig – allerdings nicht frei von Vorurteilen. Skeet war sanftmütig und freundlich – jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Leben freudlosen Selbstmitleids verdammt, zu Tagen ohne Sinn und Zweck, zu Nächten voller Einsamkeit.
    Motherwell war bei weitem der bessere Angestellte von beiden. Hätte sich Dusty strikt an die Regeln eines klugen und erfolgreichen Firmenmanagements gehalten, so hätte er Skeet schon längst von seiner Lohnliste streichen müssen.
    Das Leben wäre einfach, würde es stets vom gesunden Menschenverstand beherrscht, aber nicht immer wird der einfache auch als der richtige Weg empfunden.
    »Es sieht aus, als würden wir Regen kriegen«, sagte Dusty. »Warum hast du ihn also überhaupt aufs Dach geschickt?«
    »Habe ich nicht. Ich hab ihm gesagt, er soll die Fenster- und Türrahmen und die Fußleisten im Erdgeschoss abschmirgeln. Und kaum drehe ich mich um, sitzt er da oben und droht, sich kopfüber auf die Einfahrt zu stürzen.«
    »Ich werde ihn holen.«
    »Das hab ich schon versucht. Je näher ich ihm gekommen bin, umso hysterischer ist er geworden.«
    »Wahrscheinlich hat er Angst vor dir«, sagte Dusty.
    »Dazu hat er auch allen Grund. Wenn ich ihn umbringe, tut’s ihm garantiert mehr weh, als wenn er sich den Schädel auf den Steinen zerschmettert.«
    Der Wachmann klappte sein Handy auf.
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