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Stillmanns Münzen (German Edition)

Stillmanns Münzen (German Edition)

Titel: Stillmanns Münzen (German Edition)
Autoren: Christian Sidjani
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schnauft.
    „Weißt du eigentlich, wie lange ich nach der zweiten Münze gesucht habe? Aber ich wusste nicht einmal, wo ich anfangen sollte. Ich dachte, meine Münze wird mich eines Tages zur anderen führen. Und das hat sie jetzt auch. Ich weiß nur noch nicht, was ich mit deinen Augen anfangen soll, ob ich die Münzen da heraus destillieren kann. Aus den Büchern geht jedenfalls hervor, dass sie schon öfters verschmolzen waren, also muss es irgendwie gehen. Eins würde mich noch interessieren, bevor ich gehe: Was hast du gesehen?“
    Ich weiß nicht, wie ich in so einer Situation reagieren würde, aber Michael weint. Bis der hagere Mann ihm eine Ohrfeige gibt.
    „Nicht flennen, mein Gott, ich hab' dich was gefragt.“
    So gerne wäre Michael jetzt wütend und würde schreien, seinen ganzen Frust und die Angst, in das Gesicht des Mannes, auf dass dieser daran ersticke, aber er kann nicht. Er weint weiter.
    Eine zweite Ohrfeige.
    „Was hast du gesehen, verdammt nochmal. Ich muss es wissen!“
    „Tote!“ schreit Michael unter Tränen, „ich habe Tote gesehen, die eigentlich noch lebten. Ich sah, woran sie sterben werden. Und wie weit es fortgeschritten ist.“
    „Also doch“, sagt der Mann, „Augustinus lag falsch. Danke für die Information, Jungchen.“
    Mit den letzten Worten treten hektische Geräusche ein. Der hagere Mann verlässt das Zimmer, öffnet die Wohnungstür und verschwindet. Und Michael, der sich so sehr wünscht, gleich zu erwachen, aus dem schlimmsten Albtraum seines Lebens, bleibt gefesselt an seinem Stuhl, ungewiss in einer Dunkelheit hinter der Dunkelheit.
     
    Ich kann es heute nicht lassen. Ich höre gar nicht mehr auf zu schreiben. An manchen Tagen wünsche ich mir solch einen Schreibfluss. Auch wenn mein Begleiter mir Geschichten diktiert, sitze ich manchmal vor einem leeren Blatt und mir will nichts einfallen. Es frustriert, nicht schreiben zu können. Zum Glück blieb ich bisher von einer ,echten' Schreibblockade verschont. Wie sich das anfühlen mag, möchte ich mir nicht vorstellen. Doch heute Abend, mittlerweile ist es tiefe Nacht, kann ich nicht mehr aufhören. Ich schreibe mir alles raus, was sich aufgestaut hat. Mit jeder Zeile, die ich schreibe, fällt Ballast von mir.
    Endlich konnte ich Michaels Geschichte auf das weiße Blatt bannen. Gerne würde ich weiter erforschen, ob es Hoffnung für ihn gibt. Er lebt noch und muss nur gefunden und verarztet werden und sich an seine Blindheit gewöhnen. Vielleicht bietet ihm diese extreme Erfahrung eine Chance. Auf einen Neubeginn, den echten Beginn seines Lebens. Aber ich befürchte Schlimmeres. Wie ich meine anderen Geschichten kenne, verkommt Michael zu einer Spukgestalt. Einem Unhold, der sich fortan die Augen anderer stehlen muss, um wieder sehen zu können. Und diese Augen bleiben stets nur wenige Tage frisch, weil sie genau so verwesen wie der von ihnen getrennte Leichnam. Mordend zieht Michael durch die Stadt, um den hageren Mann zu finden und sich seine Augen zurück zu holen. Wenn er es endlich vollbringt, wurde aus ihm ein noch bösartiger Mensch als der hagere Mann einer ist.
    Darüber nachzudenken, deprimiert mich. Ich möchte mich vielmehr dem euphorisierenden Gefühl hingeben, das das Schreiben heute auslöst. Aber was ich mir bisher von der Seele schrieb, diente nur als Vorgeschichte für das, was vor einer Woche geschah. Ich habe das Gefühl, wenn ich endlich von dem Thriller berichte, in dem ich mich befand, wird sich etwas ändern. Ich weiß nur noch nicht, was.
    Ein Gedanke noch, bevor ich von meinem Abenteuer berichte. Nie habe ich bisher von mir berichtet, mir aufgeschrieben, was allein in meinem Kopf spukt. Ich musste auf meinem Notebook stöbern, um es endlich zu vollbringen. Nach allem, was in meinem Leben war, führt die heutige Nacht zu einem neuen Beginn.
     

VIII
     
    Ich schrieb, ich glaube nicht an Zufälle. Wer das tut, führt ein armseliges Leben. Michael ist mein Beispiel. Die erste Münze bedeutete ihm nichts, erst als er seine zweite fand, ,zufällig' als Trinkgeld gegeben. Alles soll so sein, wie es sich ergibt. Das weiß ich jetzt.
    So sollte es sein, dass der hagere Mann am Morgen, nachdem wir unseren Plan gefasst hatten, nicht da war. Gut, es war ein Sonntag, also musste er anscheinend nicht arbeiten. Nicht wie wir. An jenem besagten Tag fehlte auch sie auf der Arbeit. Anders als ich arbeitete sie nur drei bis vier Tage. Ich war so dumm und wurde Vollzeiter.
    Ich hütete mich, sie am Abend
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