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Stillmanns Münzen (German Edition)

Stillmanns Münzen (German Edition)

Titel: Stillmanns Münzen (German Edition)
Autoren: Christian Sidjani
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zielstrebig seines Wegs, als würde er das jeden Tag tun, und wahrscheinlich tat er das auch. Ich fragte mich, ob er nur auf dem Weg zu seiner Arbeit war. Nachdem wir das leere Warenhaus passiert hatten, keimte daher der Gedanke in mir, wie lächerlich diese Beschattung war. Und dann wurde es unheimlich. Ich dachte mir nichts dabei, als er nach einem Supermarkt in eine kleinere Straße abbog, in dieselbe Straße, die ich stets passierte auf meinem Weg nach Hause. Dann bog er an der nächsten Kreuzung rechts ab, überquerte eine Straße etwa zwanzig Meter von einer Ampel entfernt, so wie ich es tun würde, und bog die nächste Straße links ein, in meine Straße, den Tannenweg. Wie gesagt, ich glaube nicht an Zufälle. Noch während er auf die Ecke zu meiner Straße zu marschierte, wunderte ich mich nicht, wie nah wir an meinem Zuhause waren. Ich dachte, das gehört dazu, er passiert meine Straße und arbeitet womöglich bei der großen Krankenkasse, die zwei Straßen weiter war. Doch er bog in den Tannenweg. Kälte lief mir über den Rücken, hinauf bis zu meinem Nacken, wo ich den Atem einer Bestie zu spüren glaubte, ja, auch ich wurde verfolgt, und ich drehte mich um, ob da jemand war, aber nein, ich war der Einzige, der verfolgte, und Stillmann ging zielstrebig wie zuvor meine Straße hinab. Dann blieben er und mein Herz plötzlich stehen. Letzteres nur, um meinem Unvermögen Ausdruck zu verleihen, mich zu rühren. Ich erstarrte in meiner Furcht. Stillmann blieb auf der Höhe des Hauses stehen, in dem ich wohne und jetzt mich befinde. Allerdings auf der anderen Straßenseite. Er blieb einfach stehen, drehte sich nicht um, starrte nur zu meiner Haustür. Solche Zufälle gibt es nicht. Als hätte ihm jemand geflüstert, wo ich wohne. Mein Begleiter vielleicht, er hat mich verraten. Ich stand keine zehn Meter von ihm entfernt, so erstarrt, dass ich nichts tat, um von mir abzulenken, etwas fallenlassen und danach suchen oder so tun, als würde ich meine Schuhe zubinden. Er bemerkte mich nicht, obwohl ich jetzt überzeugt bin, dass er nur so tat, um mich in Sicherheit zu wiegen. Mit seiner rechten Hand griff er in seine Hosentasche, wie er es vorhin im Kiosk getan hatte, und holte einige Münzen hervor, die er in der offenen Hand betrachtete. Er wählte eine aus, die anderen steckte er zurück, dann warf er die Auserwählte in die Luft. Er schnippte sie mit dem Daumen, wie ich das immer tue, klatschte sie auf den Handrücken seiner linken Hand, blickte kurz drauf, steckte sie wieder weg und ging weiter. Das war schon aufregend genug. Zufall oder Schicksal, dass er auch eine Münze benutzte? Er tat das für Entscheidungen, das weiß ich, weil ich ihn flüstern hörte, kurz bevor er die Münze in die Luft schnippte. Ich denke mir das nicht aus, so ist es geschehen und jetzt, da ich es schreibend erinnere, läuft es mir erneut kalt den Rücken hinauf. Auch wenn eine Bahn im Hintergrund fuhr und seine Stimme sehr leise war, vernahm ich deutlich seine Worte. Ich glaube zu wissen, welche Frage er seiner Münze stellte, mit Blick auf meine Haustür. Niemand wird mir glauben, aber er fragte:
    „Soll ich heute hinein gehen?“
    Die Antwort war der Kopf, das Negierende, schließlich ging er weiter. Kopf ist immer ,nein'. Und mich frisst die Frage, welche Münze er da warf. Was ist, wenn es dieselbe...?, aber nein, ich darf das nicht denken.
    Mein Begleiter mag ein Hirngespinst sein, die Zusammenhänge der 1973 auch, aber Stillmann, der ist real wie diese Worte. Er drehte sich einfach nach vorne und ging desselben schnellen Schrittes voran, als wäre er nie stehen geblieben. Ich zögerte. Sollte ich ihn weiter verfolgen? Hatte er mir nicht ausreichend Antwort gegeben für unser Abenteuer? Sollte es nicht heißen: ,Halt dich da raus, sonst wird Stillmann eines Tages die Zahl werfen'? Kam er jeden Tag zu meinem Haus, um sich zu fragen? Ich warf schließlich meine Münze. Um festzustellen, ob ich ihm weiter folgen sollte. Zu meiner großen Erleichterung sagte sie ,nein'.
    Ich ließ ihn weiter ziehen. Er verschwand links um die Ecke, den Peiffersweg hinauf Richtung Fuhlsbüttler Straße, wo viele Geschäfte sind. Ich hoffte, dass er dort arbeitete. Vielleicht als Arzt, denn er trug ebenjene Tasche bei sich, von der ich in Michaels Geschichte berichtete.
    Nun war ich allein in meiner Straße und brauchte nicht zurück, weil ich krank geschrieben war. Ich wartete weitere fünf Minuten, bis ich sicher war, dass Stillmann nicht zurück
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