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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal
Autoren: Monika Kunze
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Lätzchen um, ein Geschenk von der Oma.
    Sybille Kanter staunte, wie gut es offenbar der Kleinen schmeckte. Zugegeben, ein bisschen zart sah sie ja aus, aber ansonsten sauber und gepflegt.
    Zufrieden nahm die Frau vom Jugendamt den leichten Duft von Babyseife und Creme wahr.
    Woher hätte sie auch wissen sollen, dass Laura gerade erst einen Tag wieder zu Hause war, nachdem ihre Oma sie wieder einmal ein paar Wochen betreut hatte? Und wie hätte sie weiter wissen sollen, dass die relative Sauberkeit in der Küche auf den gestrigen Einsatz von Frau Lärche zurückzuführen war?
    Sven hatte Laura gleich Weihnachten bei den Großeltern gelassen, nachdem er eine Woche lang vergeblich versucht hatte, mit dem Baby zurechtzukommen. Der Oma ging die ständige Heulerei offenbar nicht so auf die Nerven. Von ihr stammte auch der Möhrenbrei, den Laura gerade mit Appetit verspeiste.
    Margot sparte auch nicht an handfesten Ratschlägen, so sollte er „Heim und Hof in Ordnung halten", dann würde sein Kind auch besser gedeihen.
    Am liebsten hätte er sich bei ihrer Litanei die Ohren zugehalten. Besser gedeihen!
    Im Moment sieht sie doch wirklich ganz proper aus, die Laura...
    Sein Blick ruhte wohlgefällig auf seinem gepflegten Kind, so, als wäre das sein Verdienst und auf seine väterlichen Anstrengungen zurückzuführen.
    Vorsichtig setzte der Vater seine Tochter ins Bett und wischte ihr mit einem sauberen, feuchtwarmen Waschlappen Mund und Hände ab. Nach dem Abtrocknen erinnerte sich Sven an die Cremedose, tupfte mit dem Finger ein paar weiße Pünktchen in das rosige Gesicht, lachte und verrieb schließlich sanft die Kleckse.
    Laura schaute ihren Vater an, ihr Blick war wieder voller Vertrauen, ihre quirligen Laute voller Wohlbehagen. Sven registrierte es stolz und erleichtert.
    Sybille Kanter nahm dieses friedliche Bild gern in sich auf, wunderte sich, warum sie auf ärztliches Anraten überhaupt einen Kontrollbesuch bei dem Witwer und seiner kleinen Tochter vornehmen sollte. Es bestand doch in diesem Falle offensichtlich gar kein Handlungsbedarf, jedenfalls nicht von behördlicher Seite.
    Manchmal ärgerte sie sich ein wenig darüber, dass sich solche amtlichen Begriffe schon in ihr Denken eingeschlichen hatten. Heute jedoch überwog die Freude, dass es dem Mädchen ganz augenscheinlich so gut ging.
    Was also tat sie noch hier? Sybille Kanter verabschiedete sich herzlich von Sven Stiller, der sie höflich bis zur Haustür begleitete.
    Auf dem Weg zu ihrem Auto hatte sie für ein paar Augenblicke sein etwas aufgedunsenes Gesicht vor Augen und diesen seltsamen Geruch in der Nase.
    Es könnte Kölnisch Wasser gewesen sein - und doch auch wieder nicht, überlegte sie. Doch dann bemühte sie sich nicht weiter, den Geruch irgendwie zuzuordnen, denn das Bemühen, trotz ihrer hohen Stiefel trockenen Fußes vom Hof zu kommen, erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.
    Letztendlich gingen sie ja auch die kosmetischen Gepflogenheiten des Kindesvaters nichts an. Des Kindesvaters, lächelte sie kopfschüttelnd in sich hinein. Schon wieder so ein amtliches Wort!
    Mit ausladenden Schritten versuchte sie, von einer Steinplatte auf die nächste zu kommen, was nicht immer gelang. Der Matsch verursachte unangenehm saugende Geräusche, wenn sie ihre Füße heraus zog.
    Zum Glück hat wenigstens die Dorfstraße eine Schwarzdecke, dachte sie, als sie diese von weitem erblickte.
    Sven schaute ihr nach, wie sie durch den Moder stakte, den Mantelkragen hochgeschlagen.
    Sie hat wohl einfach zu kurze Beine, dachte er lakonisch, denn er selbst konnte problemlos von einer Platte zur anderen springen.
    Es hatte wohl in der Nacht getaut, denn gestern war der ganze Schlamm noch gefroren gewesen.
    „ Pah, wäre sie doch gestern gekommen“, hauchte er in die Luft, „selber schuld, dass sie durch den Dreck muss!“
    Dass sie da hätte womöglich nur die Lärche und nicht Laura angetroffen hätte, fiel ihm nicht ein.
    Sven sah seiner Atemwolke nach, verkroch sich tiefer in seine Strickjacke und dachte: „Scheißwinter, im Frühling wird alles besser!“
    Er war froh, als die Amtstante endlich vom Hof war. Es war schon Nachmittag, und er hatte heute noch nicht einen einzigen richtigen Tropfen getrunken. Die Flasche mit dem Wodka war wohl gestern Abend umgefallen und ausgelaufen, eine weitere nirgends aufzutreiben gewesen, soviel er auch suchte. Das einzige, was er gefunden hatte, war diese kleine Flasche 4711. Die hatte Oma Margot offenbar hier vergessen,
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