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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal
Autoren: Monika Kunze
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Jahre zuvor: Vorfreude - leicht getrübt

    An einem Freitag im noch frostigen April kam Anne Hellwig wieder einmal recht spät zu ihrem Feierabend. Ihr war klar, dass der Leerlauf an Manuskripten und die Überstunden wie so oft auch heute vermeidbar gewesen wären.
    "Macht nichts", murmelte sie, mit einem flüchtigen Blick auf die Uhr, „morgen packe ich meine Reisetasche und übermorgen bin ich um diese Zeit schon auf der Insel."
    Der Gedanke an Teneriffa zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie bemerkte nicht einmal, dass draußen vor dem Fenster, schon wieder Schneeflocken tanzten, obwohl es doch laut Kalender schon längst Frühling sein sollte.
    Sie schaute auf den Bildschirm. Die Rechtschreibprüfung huschte über ihren letzten Text für heute, der Cursor blieb stehen und blinkte bei Tippfehlern. Während sie auf die erforderlichen Tasten drückte, registrierte sie mechanisch, dass wieder drei ihrer Fingernägel abgebrochen waren. Das passierte ihr in jüngster Zeit häufig. Doch im Vergleich zu ihren anderen Problemen waren das natürlich Peanuts. Manchmal drohte ein fürchterlicher Schmerz sie fast zu zerreißen. Doch wen ging das etwas an?
    Vor einer halben Stunde hatte sie schon ihre Abenddosis an Schmerztabletten eingeworfen und konnte sich nun unbekümmert freuen: Auf den Feierabend, auf den Urlaub, aber zuallererst auf eine heiße Dusche daheim. Sie würde sie ebenso genießen wie die anschließende Körperpflege. Ja, auch ihre ramponierten Fingernägel würde sie sich vornehmen. Alles ganz gemächlich und ohne Stress. Schließlich lebte sie seit einiger Zeit wieder allein in ihrer Wohnung. Es gab also niemanden, dem sie hätte Rechenschaft ablegen müssen über ihr Tun und die Zeit, die sie dafür aufbrachte. An solchen Tagen bereute sie es nicht, sich schließlich doch, nach vielem Hin und Her, für dieses Singledasein entschieden zu haben.
    Der Cursor blieb mit einem Ruck stehen. Die Rechtschreibprüfung war zu Ende. Schnell sicherte sie den Text, schaute auf die gelben Rechtecke, die nun in schnellem Wechsel auf dem Bildschirm erschienen. Dann leuchtete das Wort Exit in der untersten Zeile auf, mit Schwung klickte auf diesen Button.

    Endlich,
dachte sie,
endlich Urlaub, jetzt heißt es auch für mich erst einmal Ausstieg ... Exit ... für ein paar Wochen ... aus der Arbeit und aus dem Alltag.
    Ganz flüchtig nur streifte sie der Gedanke, dass dieses Wort Exit, nur durch das Anfügen von zwei weiteren Buchstaben, einen anderen Sinn bekam. Schon die Vorstellung, es seien noch ein U und ein S angefügt, ließ sie frösteln.
    Schnell verbannte sie das Wort Exitus aus ihren Gedanken. Sie wollte jetzt weder an die Vermutung denken, die ihre Ärztin unlängst geäußert hatte noch an den Verkehrsunfall ihrer Eltern, bei dem beide ums Leben gekommen waren. Schnell schob sie die aufkommende Traurigkeit beiseite, denn Selbstmitleid wollte sie nicht zulassen.
    "Dieter, denkst du daran, dass du mich am Sonntag früh zum Flughafen fahren wolltest?" rief sie dem Fotografen durch die offene Tür zu. Er war gerade dabei, die letzten Fotos für die morgige Ausgabe zu bearbeiten. Darunter auch das Wrack eines Autos nach einem Unfall, der heute morgen passiert war.
    Solche Fotos ließen ihn auch nach Jahrzehnten, die er nun schon für die Presse arbeitete, nicht kalt. Er wusste aus dem Polizeibericht, dass die junge Fahrerin noch am Unfallort ihren tödlichen Verletzungen erlegen war. Erst, als das Foto auf dem Bildschirm sichtbar wurde, bemerkte er, dass er vergessen hatte, das Nummernschild an dem Unfallfahrzeug unkenntlich zu machen. Schnell brachte er das Versäumte in Ordnung und nahm sich das nächste Foto vor. Anne brauchte solche zerknautschten Autos gar nicht erst zu sehen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie bei solchen Bildern immer noch in Panik geriet, auch wenn sie äußerlich ganz ruhig wirkte.
    Als er mit seinem Drehstuhl in Annes Richtung schwenkte, brummte er in seinen Dreitagebart: "Na klar denke ich daran, habe ich denn schon jemals etwas vergessen?" Seine Antwort klang schroff. Aber Anne kannte ihn ebenso gut, wie er sie, um sich etwas daraus zu machen. Seine Schroffheit war meistens nur gespielt. Auch diesmal bestätigte er ihre Vermutung, als er betont wehmütig weitersprach..
    "Ach, Anne, am liebsten würde ich ja mitkommen ... Mir täte etwas Insel bestimmt auch ganz gut. War ziemlicher Stress in den letzten Monaten, was?"
    Er schickte seiner Frage noch einen tiefen Seufzer
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