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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal
Autoren: Monika Kunze
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wusste auch, dass die junge Frau in dem ersten Würfelhaus hinten am Park wohnte.
    Opa Neumaier schob seinen mächtigen Oberkörper noch weiter über die Fensterbank, damit ihm auch ja nichts von den Geschehnissen in seiner Straße entging. Die Geschehnisse dort zu verfolgen, war für ihn so eine Straßentheater, meist spannend und sehr unterhaltsam, was eine erstaunlich belebende Wirkung auf ihn ausübte.
    Außerdem durfte er im Wohnzimmer nicht rauchen. Aber hier hatte seine Frieda nicht einmal etwas dagegen, wenn er mit einer schnellen Bewegung seines Zeigefingers die Asche unauffällig in die Sträucher vor seinem Fenster schnippte.
    Anne winkte dem Rentner zu: "Ja, ist halt schwierig mit den Parkplätzen. Zum Einkaufen bin ich auch wieder nicht gekommen, aber alles halb so schlimm! Ich habe ja jetzt Urlaub!"
    Noch immer grub das Lächeln kleine Grübchen in ihre Wangen.
    Franz Neumaier wollte diesen Anblick noch wenig genießen und fragte deshalb rasch, noch ehe sie womöglich um die Ecke verschwunden war: "Wo soll´s denn hingehen im Urlaub?"
    Der alte Mann machte sich erst gar nicht die Mühe, seine Neugier zu verbergen und lehnte sich erwartungsvoll immer weiter hinaus, während er sich gewohnheitsmäßig über die Stelle am Kopf strich, an der früher einmal eine prächtige Frisur gewesen sein könnte. Jetzt allerdings versuchte er schon seit Jahren, seine paar grauen Strähnen sorgfältig und vor allem gleichmäßig auf der ansonsten spiegelblanken Glatze zu verteilen.
    Es muss schwierig sein, neun Haare in sieben Reihen aufzuteilen
, dachte Anne belustigt. Doch laut und ein bisschen leichthin sagte sie: "Ach, wissen Sie, Herr Neumaier, ich bin einfach reif für die Insel. Ich fliege am Sonntag nach Teneriffa." So hatte sie nicht nur das Ziel ihrer Reise kundgetan, sondern auch gleich noch den Zeitpunkt. Denn das Wann hätte bestimmt in seiner nächsten Frage gesteckt. Sie aber war heute nicht mehr aufgelegt für sein geliebtes Frage- und Antwortspiel.
    Sie drehte sich nur noch ein einziges Mal um, bevor sie in die nächste Querstraße einbog. Dabei stellte sie überrascht fest, wie eilig der Opa es mit einem Mal hatte. Im Nu hatte er das Fenster geschlossen und die Gardine vorgezogen.
    Anne konnte natürlich nicht ahnen, dass sie mit ihrer schlichten Auskunft bei den Neumaiers gehörig für Gesprächsstoff gesorgt hatte.
    "Diese jungen Leute", schimpfte Neumaier mürrisch vor sich hin, "die müssen ein Geld haben! Frieda, stell dir mal vor, die kleine Hellwig fliegt nach Teneriffa! Muss wohl von ihren Eltern etliches geerbt haben, als die voriges Jahr bei dem Verkehrsunfall umgekommen sind."
    Seine Frau saß wie immer um diese Zeit auf dem Sofa, eingehüllt in ihre unvermeidliche, blau-weiß geblümte Nylon-Kittelschürze, und reagierte, auch wie immer, wenn er sie mitten in einem komplizierten Strickmuster ansprach. Nämlich überhaupt nicht. Sie zählte in aller Seelenruhe ihre Maschen weiter: "23-24-25-26." Dann legte sie das angefangene Vorderteil des grünen Pullis zur Seite, quälte sich mühsam aus der Tiefe der Couch in den Stand, humpelte zum Fenster und zog auch noch die Vorhänge zu.
    "Alles machst du bloß halb", knurrte sie. Ihre Stimme war in den letzten zehn Jahren immer tiefer geworden. Ein vorwurfsvoller Blick traf ihren Mann. "Sollen uns die Nachbarn auf den Tisch gucken können? Es gehört zur Ordnung, dass man auch die Übergardinen zuzieht, wenn es draußen dämmrig wird."
    Und dann, plötzlich und übergangslos, also hatte sie seine Worte von vorhin doch gehört, schniefte sie verächtlich: "Teneriffa! Na und, lass´ sie doch fliegen, die kleine Hellwig. Wird schon sehen, was sie davon hat!"
    Sie mochte dieses junge Ding nicht. Trug immer so kurze Röcke, fuhr mit zweiundzwanzig schon Auto! Und ein rotes noch dazu! Wo hätte es das zu ihrer Zeit gegeben! in dem Alter hatte man einen Kinderwagen zu schieben!. Aber heutzutage lebten ja offenbar sowieso viele in einer verkehrten Welt. Das sagte sie jedem, der es hören wollte und den anderen, die es nicht hören wollten.
    "Und außerdem," wandte sie sich nun wieder an ihren Mann, "du warst doch auch schon mal im Süden, damals, in Italien. Und mich zieht es da nicht hin ... zu den Makkaronis."
    Doch Franz hörte gar nicht richtig hin, schaute, Gott ergeben, zu Boden, zuckte die Achseln und seufzte. Gewohnheitsmäßig griff er sich die Zeitung, als seine Angetraute wieder mit den Stricknadeln zu klappern begann, aber er kam einfach nicht
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