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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
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leider konnte der arme Bursche ihnen auch nicht sagen, wo sein Vater sich aufhält. Ich habe selbst mit ihm gesprochen. Er sagte mir, du hättest ihn besucht und dann mitgeholfen, als das Feuer ausbrach, aber mehr weiß ich nicht.«
    Sie blickte James forschend an und James erwiderte ihren Blick. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, welch große Sorgen sie sich um ihn gemacht hatte. Er durfte sie nicht noch mehr beunruhigen.
    James schloss die Augen. »Tut mir Leid, Tante Charmian, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern«, log er. »Ich weiß noch, dass Red und ich hinauf zum See gegangen sind, aber was danach kam … keine Ahnung.«
    »Nun denn«, sagte Charmian. »Vielleicht ist es so das Beste.«
     
    In den darauf folgenden Tagen hütete James das Bett. Langsam kam er wieder zu Kräften. Er hatte Hunger wie ein Wolf, Charmian konnte gar nicht genug Essen herbeischaffen. Anfänglich gab es nur Suppe, gewürzte Brühe und Porridge, doch bald vertrug er auch festere Nahrung. Kelly kam zu Besuch, ebenso Wilder, und sie sprachen über dumme, unwichtige und alltägliche Dinge, nie jedoch über Hellebore und das Schloss.
    Und eines Morgens war es dann so weit. James fühlte sich kräftig genug, um aufzustehen. Es war ein warmer, sonniger Tag. James zog seinen Morgenmantel über den Schlafanzug und schlüpfte in seine Turnschuhe.
    Noch etwas wacklig auf den Beinen, stieg er die Treppe hinunter und trat hinaus ins Freie. Alles wirkte auf ihn laut und geschäftig: Der Fluss rauschte wie ein Sturzbach, die Bäume raschelten und bebten im Wind, ein Eichhörnchen keckerte wie eine schlecht geölte, knirschende Maschine.
    James setzte sich am Ufer auf einen großen, alten Baumstamm und schaute zu, wie das Wasser über große und kleine Steine tanzte. Er entdeckte einen kleinen Fisch, der sich im Tang vergraben hatte, und überlegte kurz, ob er seine Angel holen sollte.
    Und dann traf es ihn wie ein Schlag.
    Onkel Max.
    Max hatte ihn kein einziges Mal besucht. James war so damit beschäftigt gewesen, wieder gesund zu werden, dass es ihm nicht in den Sinn gekommen war, nach seinem Onkel zu fragen. Er war wütend auf sich selbst. Wie selbstsüchtig und unhöflich er gewesen war. Gerade wollte er aufspringen und sich auf die Suche nach seiner Tante machen, als sie neben ihm auftauchte. In der Hand hielt sie einen Korb mit frisch geschnittenen Blumen.
    »Hallo«, sagte James.
    Charmian lächelte ihn an. »Du bist aufgestanden.«
    »Ja. Es geht mir schon viel besser. Ich habe nachgedacht. Was ist mit …«
    »Max?«
    »Ja.«
    Charmian setzte sich neben James und ergriff seine Hand.
    »Vor langer Zeit musste ich dir eine schlimme Nachricht überbringen, James. Damals ging es um meinen anderen Bruder – deinen Vater.« Sie hielt inne und holte tief Luft.
    »Er ist tot, nicht wahr?«, sagte James leise.
    Charmian nickte. Sie wischte die Tränen aus ihren Augen.
    »Das ist nicht fair«, sagte James zornig.
    »Das Leben ist selten fair«, sagte Charmian und starrte auf den Fluss hinaus, den ihr Bruder so sehr geliebt hatte. »Gute Menschen sterben ebenso wie schlechte. Man glaubt immer, darauf vorbereitet zu sein. Und es war ja nicht so, als hätten wir nicht alle gewusst, dass es passieren würde. Aber wenn es dann so weit ist, haut es einen doch um. Darum bin ich ja auch so froh, dass du über dem Berg bist und wieder ganz gesund wirst, James. Ich hätte es nicht ertragen, euch beide zu verlieren.«
    Sie nahm James in die Arme und zog seinen Kopf zu sich heran. James schlang die Arme um sie. Sie beide hatten so viel miteinander durchgestanden und Charmian war für ihn wie eine Mutter und gute Freundin zugleich.
    »Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet«, sagte James mit rauer Stimme. »Wir wollten doch angeln gehen. Er wollte mir zeigen, wie man einen Köder auslegt, und ich … ich habe seine Taschenlampe verloren, ich wusste nicht, wie ich es ihm beibringen sollte, und jetzt …«
    »Er hat sich von dir verabschiedet, James«, sagte Charmian. »In der Nacht, bevor du ins Moor aufgebrochen bist. Ich glaube, damals wusste er es schon …« Sie lachte. »Er war kein sentimentaler Mensch. Er hätte weder Tränen gewollt noch sonst irgendein Aufhebens. Weißt du, James, deine Krankheit hat mich in gewisser Weise von seinem Tod abgelenkt«, sagte sie und strich ihm übers Haar. »Es hat es sogar ein wenig leichter gemacht. Wir müssen uns einfach vor Augen halten, dass das Leben weitergeht, nicht wahr?« Sie schob ihn ein klein
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