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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
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aber Randolph war auch kein Schwächling und sein Bruder war schwer verletzt, daher war es ein ausgewogener Kampf. Beide hatten kaum noch menschliche Züge an sich. Algars plattes, gruseliges Gesicht war blut- und schlammverschmiert, Randolphs Haare waren nass und seine einst schönen Gesichtszüge waren zu einer hässlichen, wutschnaubenden Grimasse verzogen.
    Das Wasser war schwarz gefleckt von Algars Blut.
    Und dann begann es zu kochen und zu schäumen.
    Die Aale kamen.
    Algars Atem entwich in einem langen, pfeifenden Ton. Er presste seine Hand auf das Gesicht seines Bruders und drückte ihn mit Gewalt nach hinten. Sie gingen beide unter. Als Randolph das nächste Mal auftauchte, war er bedeckt von zappelnden Aalen, die sich in seinem Haar und seiner Kleidung verfangen hatten. Einige kleinere hatten sich bereits in seinen Körper verbissen.
    James drückte Georges Gesicht an sich, sodass er das Schreckliche, das mit seinem Vater geschah, nicht mit ansehen musste.
    Randolph schüttelte sich und brüllte laut, bevor er nach unten glitt. Die Hand des sterbenden Algar umklammerte noch immer seinen Hals. Und dann tauchte er zum letzten Mal auf. Inzwischen war er völlig von den Tieren bedeckt, sie hingen in Klumpen an seinen Gliedern, schlüpften in seine Kleidung, sodass seine sich krümmende und windende Gestalt nur noch aus Aalen zu bestehen schien. Er kippte vornüber. Einen Arm hochgestreckt, ging er unter. Einen Moment lang zeigte die Hand nach oben, als wolle er nach etwas greifen, dann sank sie langsam unter Wasser.
    Die zwei unseligen Brüder waren tot.
    »Komm«, sagte James, »lass uns weggehen.«
    Er wandte sich um und ging ein paar Schritte die Auffahrt entlang. Die Sonne war hervorgekommen und schien besonders hell zu scheinen. Alles um ihn herum wirkte so frisch und lebendig. Aber dann verschwammen die Farben und flossen ineinander wie ein Aquarell, das man im Regen vergessen hatte.
    »Schau dir das an«, hörte er sich selbst sagen und seine Stimme schien von weit, weit her zu kommen.
    Es war, als liefe er durch zähen Brei. Seine Füße versanken im Boden. Das Licht wich, eine Faust schloss sich und verdunkelte die Sicht. Er fühlte sich so leicht im Kopf, als wäre er voller Luftblasen. Und dann fiel er vornüber. Er hörte ein Geräusch, das wie Donner klang, und jemand rief: »Vorsicht, pass auf!«
    Das Echo der Stimme entschwand und James entschwand mit ihm, wurde so klein wie ein Staubkörnchen, bis auch dieses nicht mehr da war.

 

Es gibt ein Wiedersehen
    G u-guu … ruckediguu …
    Was war das?
    Es klang irgendwie vertraut. Wie ein Musikinstrument. Eine Klarinette oder eine Flöte. So vertraut.
    Gu-guu … ruckediguu , ertönte es immer wieder.
    Nein. Kein Instrument. Ein Tier. Ja. Natürlich. Ein Vogel. Eine Ringeltaube. Eine Ringeltaube mit ihrem unverwechselbaren Gurren. So vertraut.
    Gu-guu … ruckediguu …
    James lag lange Zeit mit geschlossenen Augen da und lauschte auf die sanften, beruhigenden Töne. Der Vogel saß zweifellos ganz in der Nähe. Er hockte auf einem Baum und sang friedlich und unbeschwert vor sich hin.
    Allmählich drangen auch noch andere Geräusche an sein Ohr. Der Wind spielte mit den Blättern in den Baumspitzen, Vorhänge strichen flatternd über den Fensterrahmen, Vögel zwitscherten. Er hörte das Rauschen des Flusses, das Bellen eines Hundes in der Ferne.
    Auch Gerüche nahm er wahr: den leicht angestaubten Duft des Zimmers, in dem er sich befand, vermischt mit dem strengen, torfigen Geruch des Flusses und dem Aroma von Pinienharz aus dem Wald, die mit der sauberen, klaren Luft durchs offene Fenster hereinwehten und sein Gesicht umschmeichelten. Und von ganz nah stieg ihm Blumenduft in die Nase.
    James schlug die Augen auf und sah eine Glasvase mit einem kleinen Strauß Wildblumen neben sich auf dem Nachtkästchen stehen. Er lag in seinem Bett in der kleinen Dachkammer in Onkel Max’ Cottage, in einem Raum, der so heimelig war. An der Wand hing das kleine Bild mit dem Hirsch, dort drüben stand die Kommode, darauf der Krug mit frischem Wasser und daneben die Öllampe. Dann das Bücherregal und die Porzellankatze mit dem angeschlagenen Ohr.
    Ja, alles war so vertraut. Die Tapete mit dem Rosenmuster, die leuchtend blaue Tür, die Jahrmarkttrophäen …
    Er stützte sich auf den Ellbogen. Sofort drehte sich alles im Kopf. Sein Arm fühlte sich nicht stark genug an, das Gewicht zu tragen. James sank zurück ins Kissen und holte tief Luft. Seine Lunge tat beim
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