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Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne
Autoren: Edmund Cooper
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weg. Darf ich eingießen, Sir?“
    „Ja.“
    Greville sah zu, wie sich der dampfende Tee in die Tasse ergoß. Er würde wunderbar schmecken. Er schmeckte immer wunderbar. Er hatte sich an den Luxus noch immer nicht gewöhnt. Es war erst ein Jahr her, seit der mutige und abenteuerlustige Kapitän seinen Segler bis nach Ceylon gesegelt und die erste Ladung Tee seit dreißig Jahren zurückgebracht hatte.
    Bis jetzt, dachte Greville und nippte an dem köstlichen Getränk, war Tee den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Aber bald würden andere Schiffe dem ersten folgen, und dann würde es wieder Tee zum Frühstück für alle geben, und das würde bedeuten, daß dort droben wieder ein Gott saß und die Welt in Ordnung war.
    „Noch eine Tasse, GK?“
    „Nein, danke. Die hier reicht mir.“
    Der Diener lächelte, stellte Teller und Tasse wieder auf das Tablett und ging aus dem Zelt. Greville korrigierte seine Liste der Teetrinker auf die Reichen, die Mächtigen – und ihre Diener. Er wußte, daß sie den Topf leeren und danach eine Prise Soda auf die Teeblätter werfen würden, damit sie noch eine Kanne voll hergaben, bevor sie weggeworfen wurden.
    Er kletterte aus dem Schlafsack und streckte sich. Dann fing er an, sich langsam, vorsichtig und methodisch anzuziehen. Er überlegte sich, daß er im Alter von siebenundsechzig Jahren alles langsam, vorsichtig und methodisch machte. Es war kein Alter, in dem man sich plötzliche Bewegungen noch ohne weiteres erlauben konnte, und es war auch kein Alter, in dem man schnelle Entscheidungen traf … Oder sie verstand, nachdem man sie getroffen hatte …
    Er trat aus dem Zelt und sog die Morgenluft tief ein. Der Posten präsentierte das Gewehr und schlug dabei so hart gegen den Kolben, daß Greville zusammenzuckte. Die Hände des Mannes mußten vor Schmerz brennen, aber er starrte ohne Ausdruck nach vorn.
    „Platz für den GK!“ brüllte er, der Zeremonie folgend, obwohl in Grevilles unmittelbarer Umgebung niemand war, der ihn in seinem Weg hätte behindern können.
    „Guten Morgen“, sagte Greville.
    „Morgen, Sir!“ brüllte der Posten, als würde er sich an eine Menge richten.
    „Wegtreten.“
    Der Posten schlug wieder gegen sein Gewehr und führte auffällig das Ritual des Wegtretens durch.
    Greville war allein. Hätte er aber nur geniest, dann wären von irgendwoher sofort sechs Mann herbeigesprungen, um den GK vor einem Verhängnis zu schützen.
    Er war an der Spitze einer Truppe von zweihundert Mann den ganzen Weg von Truro nach London marschiert, und er wußte noch immer nicht, warum.
    Er hatte natürlich Gründe gehabt. Er mußte Gründe haben – sonst hätte Pater Jack, der erste Präsident der Republik, nie und nimmer seinen offiziellen Segen dazu gegeben. Greville wäre zwar trotzdem gegangen, aber aus politischen Gründen mußten der GK und der Präsident in völliger Harmonie auftreten.
    Die Gründe, die er Pater Jack genannt hatte, waren eigentlich recht stichhaltig gewesen: Es war notwendig, jetzt – da die Republik aufblühte – herauszubekommen, wie es im Land aussah, die Möglichkeiten für weitere Rekrutierungen auszuloten, verschiedene wissenschaftliche und technische Instrumente zu suchen, die momentan mit den der Republik zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln noch nicht hergestellt werden konnten, und um andere organisierte Kommunen zu finden, mit denen die Republik Beziehungen anknüpfen konnte, von denen sie beide profitieren würden.
    Pater Jack war jedoch nicht leicht hinters Licht zu führen.
    „Greville, mein Sohn“, hatte er gesagt. „Wir haben fast siebentausend Bürger, eine gesunde Wirtschaft, und ob die schlauen Burschen von der Universität von Truro ein Elektronenmikroskop oder was auch immer brauchen oder nicht, das ist mir völlig egal. Wie ich das sehe, brauchen sie erst einmal frische Windeln … Wenn dein Herz aber an diesem Ausflug hängt, dann werde ich dir wohl meinen offiziellen Segen dazu geben müssen, und in diesem Fall ist es tatsächlich besser, wenn du einen schönen offiziellen Grund hast. Für mich ist das bedeutungslos, aber der Wählerrat soll halt damit glücklich werden. Daß du dich aber ja nicht umbringen läßt – das ist am wichtigsten.“
    Und so kam es, daß Grevilles Marschkolonne nach einem lockeren Marsch durch Südengland nun am Südufer der Themse im ehemaligen schönen Battersea-Park ihr Lager aufgeschlagen hatte.
    Heute würden sie in die Überreste des alten London einmarschieren, aber das war
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