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Sternstunden des Universums

Sternstunden des Universums

Titel: Sternstunden des Universums
Autoren: Harald Lesch
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Neutronen. Die Summe von Protonen und Neutronen ergibt die Massenzahl des Elements. Das Uranisotop mit 142 Kernneutronen hat daher die Bezeichnung Uran 234 (U234), das mit 143 Neutronen im Kern wird Uran 235 (U235) genannt und das mit 146 Neutronen Uran 238 (U238). In der Natur kommen diese Uranisotope mit stark unterschiedlicher Häufigkeit vor. 99,2744 Prozent des Urans in den Uranlagerstätten stellt das Isotop U238 und nur 0,7202 Prozent das Isotop U235. Das Isotop U234 trägt mit vernachlässigbaren 0,0054 Prozent fast nichts zum Gesamtvorkommen bei.
    Was geschieht, wenn Urankerne mit Neutronen beschossen werden, hängt davon ab, welches Isotop getroffen wird und wie schnell die Neutronen sind beziehungsweise wie hoch ihre kinetische Energie ist. Zunächst wird durch den Einfang eines Neutrons Bindungsenergie frei. Man versteht darunter die Energiemenge, die man benötigen würde, um ein Neutron aus dem Kern zu lösen und unendlich weit weg zu schaffen. Bei Atomkernen, die eine gerade Anzahl an Kernneutronen aufweisen, ist die Bindungsenergie der Neutronen viel größer als bei Kernen mit einer ungeraden Anzahl von Kernneutronen. Demnach ist die frei werdende Bindungsenergie höher, wenn die Anzahl der Kernneutronen durch das eingefangene Neutron geradzahlig wird, als wenn sich eine ungerade Neutronenzahl ergibt. Der U235-Kern hat mit 143 Neutronen eine ungerade Anzahl an Kernneutronen. Durch den Einfang eines Neutrons wird sie mit 144 geradzahlig, und die frei werdende Bindungsenergie beträgt rund 6,4 Millionen Elektronenvolt. (Ein Elektron gewinnt eine Energie von 1 Million Elektronenvolt [1 MeV], wenn es durch eine Spannung von 1 Million Volt beschleunigt wird.) Beim U238-Kern ist die Anzahl der Kernneutronen vor dem Einfang mit 146 geradzahlig, und sie wird durch den Einfang eines Neutrons ungerade. Folglich ist auch die beim Einfang frei werdende Bindungsenergie mit rund 4,8 MeV deutlich kleiner als beim U235-Kern.
    Die Kernspaltung wird ausgelöst, wenn die Summe aus frei werdender Bindungsenergie und kinetischer Energie des Neutrons größer ist als die sogenannte Spaltschwelle des Atomkerns. Die liegt für U235 bei rund 5,8 MeV, für U238 bei 6,3 MeV. Da beim U235-Kern die frei werdende Bindungsenergie bereits höher als die Spaltschwelle ist, kann die kinetische Energie der Spaltneutronen beliebig klein sein. U235-Kerne sind demnach besonders leicht zu spalten. Bei U238 sieht die Sache anders aus. Dort liegt die frei werdende Bindungsenergie deutlich unterhalb der Spaltschwelle. Damit es zur Kernspaltung kommt, müssen die Spaltneutronen eine kinetische Energie von mindestens 1,5 MeV haben, entsprechend der Differenz zwischen 6,3 MeV und 4,8 MeV. Mit »langsamen« Neutronen ist U238 daher praktisch nicht zu spalten.
    Ob schwer oder leicht zu spalten, lässt sich auch am sogenannten Wirkungsquerschnitt ablesen. Vereinfacht ausgedrückt versteht man darunter die Fläche um den Atomkern, innerhalb derer das Neutron auftreffen muss, damit es zum Einfang mit anschließender Spaltung des Urankerns kommt. Der Wirkungsquerschnitt, der in Einheiten von 10 -28 Quadratmetern, auch 1 barn genannt, angegeben wird, ist abhängig von der kinetischen Energie der Neutronen. Für Neutronen mit geringer kinetischer Energie, sogenannte thermische Neutronen, hat U235 einen Wirkungsquerschnitt von rund 600 barn. Mit wachsender Elektronenenergie wird er immer kleiner (Abb. 2). Auf die Erzeugung thermischer Neutronen kommen wir noch zu sprechen. U238 hat für langsame Neutronen einen rund 30 Millionen Mal kleineren Wirkungsquerschnitt als U235. Erst wenn die kinetische Energie der Elektronen einen Wert von 1,5 MeV erreicht, steigt er auf etwa 0,1 barn und bei einer kinetischen Energie von 10 MeV auf rund 1 barn. Im Vergleich zu U235 ist daher U238 nicht nur viel schwerer zu spalten, man würde auch einen wesentlich höheren Fluss an hochenergetischen Neutronen benötigen, um eine mit U235 vergleichbare Spaltrate zu erzielen. Kein Wunder also, dass man die Kernreaktoren mit U235 »füttert«.

    Abb. 2: U235 ist besonders leicht mit langsamen Neutronen im Energiebereich um 0,025 eV zu spalten. Mit wachsender kinetischer Energie der Neutronen nimmt der Wirkungsquerschnitt für den Neutroneneinfang stark ab. Bei U238 erreicht man erst mit Neutronen oberhalb 1,5 MeV nennenswerte Spaltreaktionen.
    Dennoch, der Beschuss von U238 mit langsamen Elektronen bleibt nicht ohne Wirkung, sie können im Kern stecken bleiben. Dadurch entsteht
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