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Sternstunden des Universums

Sternstunden des Universums

Titel: Sternstunden des Universums
Autoren: Harald Lesch
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dorthin zu umschiffen. Doch weit gefehlt! Vor rund 1,8 Milliarden Jahren hat uns die Natur in der heutigen Uranlagerstätte Oklo in Gabun, Westafrika, schon vorgemacht, wie man einen Kernreaktor baut. Fast ist man versucht zu sagen: Enrico Fermi ist nicht der Erfinder der Reaktortechnik, er hat lediglich die Natur nachgeahmt. Doch wie kam es zu dieser Entdeckung?
    Vierzehn Jahre nach dem ersten von Fermi erfolgreich erprobten Kernreaktor machte sich der japanische Physiker Paul Kuroda Gedanken, ob es nicht auch Kernreaktoren geben könne, welche die Natur, vielleicht per Zufall, ohne menschliches Zutun »erbaut« hat. Anhand seiner Untersuchungen konnte er detaillierte Aussagen machen, in welchem Zeitabschnitt der Erdgeschichte die Voraussetzungen dafür besonders günstig waren, in welchem Verhältnis U235 zu U238 im Uranerz vorzuliegen hat, welche Mächtigkeit die erzhaltigen Schichten haben müssen und wie hoch deren Urangehalt sein muss. Sollte man ein Uranerz finden, in dem U235 in geringerer Konzentration als üblich vorliegt, so wäre das ein Hinweis, dass U235 durch Kernspaltungsprozesse verloren gegangen ist. Doch alle Uranerzproben, die man in den folgenden Jahren aus der ganzen Welt zusammengetragen hatte, enthielten U235 und U238 im vertrauten Verhältnis 0,7202 zu 99,2744. Die gleichen Werte findet man übrigens auch im Mondgestein und in Meteoriten, die die Erde getroffen haben.
    Doch im Jahr 1972 änderte sich die Situation. In der Urananreicherungsanlage von Eurodif in Pierrelatte, Frankreich, hatte der Franzose Henri Bouzigues, ein Spezialist auf dem Gebiet der Massenspektroskopie – andere Quellen nennen den französischen Physiker Francis Perrin – aus der Oklo-Mine angeliefertes Uranerz genau untersucht. In diesen Proben betrug der Anteil von U235 anstelle von 0,7202 Prozent nur 0,7171 Prozent, rund 0,4 Prozent weniger als üblich. Vermutlich hätten die meisten Menschen diesem Ergebnis keine Bedeutung beigemessen – das sei doch Jacke wie Hose, Korinthenkackerei. Doch die Wissenschaftler ließ der Befund aufhorchen. Wieso war in den Oklo-Proben das Uranisotop U235 geringfügig abgereichert? War das vielleicht ein erster Hinweis, dass etwas von dem U235 durch Kernspaltungsprozesse verbraucht worden war?
    Zunächst glaubte man nicht so recht an diese Möglichkeit. Es hätte ja sein können, dass bei Eurodif die Proben durch Uran, das schon mal in einem Reaktor als Brennstoff gedient hatte und daher einen geringeren Anteil an U235 enthielt, verunreinigt worden waren. Doch als man den Gehalt der Proben an U236 und U234 bestimmte, war dieses Argument schnell entkräftet. Denn U236 wird in Kernreaktoren erzeugt und hätte aufgrund seiner langen Halbwertszeit von 23 Millionen Jahren noch in größerer Menge in den verunreinigten Proben zu finden sein müssen. Und auch das Isotop U234 glänzte durch Abwesenheit, obwohl das in den heutigen Reaktoren verwendete Uran zunächst einen Anreicherungsprozess durchläuft, bei dem sich neben U235 auch der Anteil an U234 erhöht.
    Die Zweifel an einem natürlichen Kernspaltungsreaktor waren jedoch schnell ausgeräumt, nachdem man die Uranmetall führenden Adern der Oklo-Mine näher untersucht hatte. Isotope von Elementen, wie sie als Ergebnis einer Kernspaltung entstehen, beispielsweise Thorium, waren überall reichlich zu finden. Dagegen zeigten sich die benachbarten Gesteinsschichten nahezu frei von diesen Spaltprodukten. Besonders überzeugend war eine Reihe von Neodymisotopen (Nd), nämlich die mit den Massenzahlen 142, 143, 144, 145, 146, 148 und 150. Alle sind stabil beziehungsweise haben eine Halbwertszeit von mehreren Billiarden Jahren. Das bedeutet, sie zerfallen praktisch nicht in andere Elemente. In der Natur kommen diese Isotope in einem ganz bestimmten Mengenverhältnis vor, wobei Nd142 mit 27,13 Prozent von allen den größten Anteil hat. Kennt man daher den Gehalt einer Probe an Nd142, so weiß man, welche Mengen an Nd143, Nd144 und so weiter die Probe enthält. In der Oklo-Mine waren die Verhältnisse jedoch regelrecht auf den Kopf gestellt. Der Gehalt an Nd142 war am geringsten, die Anteile der anderen Isotope waren überproportional hoch (Abb. 4). Sind diese unnatürlich großen Mengen auf Kernspaltungsprozesse zurückzuführen? Ein Blick auf die Nuklidkarte bestätigt den Verdacht. Bis auf das Isotop Nd142 stehen alle Isotope am Ende einer Reihe von Zerfallsreaktionen, die mit einem Isotop beginnen, einem Bariumisotop, das bei der Spaltung
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