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Sternstunden des Universums

Sternstunden des Universums

Titel: Sternstunden des Universums
Autoren: Harald Lesch
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nicht vonstatten. Denn so, wie die Neutronen entstehen, sind sie nicht in der Lage, den U235-Kern zu spalten. Mit einer mittleren Energie von etwa 10 Millionen Elektronenvolt (10 MeV), was einer Geschwindigkeit von etwas mehr als einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit entspricht, sind sie zu schnell, um von einem U235-Kern eingefangen zu werden. Wie schon erwähnt, sinkt der Wirkungsquerschnitt mit wachsender Neutronenenergie. Von rund 600 barn für langsame Neutronen reduziert er sich auf etwa 1 barn für 10-MeV-Elektronen. Die Neutronen müssen daher zunächst mithilfe eines sogenannten Moderators abgebremst werden. Treffen die Neutronen auf die Atome beziehungsweise Moleküle der Moderatormaterie, so geben sie bei jedem Zusammenstoß einen Teil ihrer Bewegungsenergie an die Bausteine des Moderators ab. Physiker sagen dazu: Die Neutronen werden an den Atomen beziehungsweise Molekülen des Moderators gestreut. Auf diese Weise werden die Neutronen bei jedem Stoß langsamer, bis sie schließlich auf eine Geschwindigkeit abgebremst sind, die vergleichbar ist mit derjenigen der Moderatoratome. Die Geschwindigkeit der Moderatorbausteine wiederum wird bestimmt durch die Temperatur: Je höher diese ist, desto höher ist die thermische Energie, das heißt, desto schneller bewegen sich beispielsweise die H 2 O-Moleküle im Wasser beziehungsweise schwingen die Atome im Gitter eines Metalls hin und her. Eine Temperatur von 27 Grad Celsius entspricht einem thermischen Niveau von 0,025 Elektronenvolt (eV). Neutronen, die durch Stöße auf ein vergleichbares Niveau »abgekühlt« wurden, bezeichnet man daher auch als »thermische« Neutronen. Ihre Geschwindigkeit beträgt nur noch wenige Kilometer pro Sekunde.
    Ein guter Moderator muss zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum einen sollten seine Atome eine der Neutronenmasse ähnliche Masse besitzen, da beim Stoß zweier Körper gleicher Masse Bewegungsenergie am effizientesten übertragen wird. Zum anderen sollten die Moderatoratome möglichst keine Neutronen einfangen, da diese ansonsten für weitere Spaltprozesse verloren wären. Mit anderen Worten: Der Einfangquerschnitt für Neutronen muss so klein wie möglich sein. Wasser und Graphit erfüllen diese Bedingungen hinreichend gut, weshalb sie auch in modernen Kernreaktoren als Moderatoren Verwendung finden.
    Sind damit alle Voraussetzungen für eine Kettenreaktion gegeben? Nicht ganz! Würde man wenige Kilogramm Natururan zusammenpacken, so täte sich gar nichts. Auch zusammen mit einem entsprechenden Moderator käme keine Kettenreaktion in Gang. Zwar würden einige Kerne von herumgeisternden Neutronen gespalten, aber die dabei entstehenden und in alle Richtungen davonfliegenden »Spaltneutronen« würden den Uranklotz ohne weitere Reaktionen verlassen. Die U235-Kerne sind zu »dünn gesät«, als dass ausreichend viele getroffen würden. Die sogenannte Neutronenverlustrate wäre zu groß. Um eine Kettenreaktion auszulösen, muss eine Mindestmasse an spaltbarem Material angehäuft werden, die man auch als »kritische Masse« bezeichnet. Kritisch ist eine Masse spaltbaren Materials immer dann, wenn im Mittel genau eines der bei einem Spaltvorgang frei werdenden Neutronen eine weitere Kernspaltung auslöst, während die anderen ein oder zwei Neutronen entweder das Spaltmaterial verlassen oder von nicht spaltbaren Atomkernen absorbiert werden. Mit anderen Worten: Jede Neutronengeneration bringt genau gleich viele Neutronen wie die vorausgehende hervor. Wie groß die Masse zu sein hat, hängt von der Art und der Dichte des spaltbaren Materials ab, in welcher Form das Material vorliegt und ob beziehungsweise wie viele Neutronen absorbierende Substanzen darin enthalten sind. Am kleinsten wird die Masse, wenn das spaltbare Material in Kugelform angeordnet ist. Für Uran 235 beträgt die kritische Masse rund 49 Kilogramm. Da das in der Natur vorkommende Uran nur zu 0,7 Prozent aus U235 und zu 99,3 Prozent aus U238 besteht, benötigt man insgesamt 7000 Kilogramm Natururan, um die kritische Masse von 49 Kilogramm U235 zusammenzubekommen. In Kombination mit einem entsprechenden Moderator, der auch als Neutronenreflektor fungiert, lässt sich die kritische Masse jedoch deutlich verkleinern.
    Ist in einer kritischen Masse erst einmal eine Kettenreaktion angelaufen, so erlischt sie nicht mehr. Andererseits beschleunigt sie sich auch nicht. Man sagt, die Reaktionsrate ist konstant. Wird jedoch durch Hinzufügen von weiterem spaltbaren Material
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