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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich
Autoren: Christoph Koch
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der Straße die Reste hinzuwerfen, die man sich selbst beim besten Willen nicht mehr in den eigenen maßlosen Bauch stopfen mochte?
    Zum Glück war Jessica pragmatischer: »Happy Thanksgiving! Es klingt vielleicht blöd«, sagte sie, »aber möchten Sie vielleicht etwas von unserem Essen?«
    Der Mann mit dem Einkaufswagen, der ein wenig aussah wie ein zahnloser James Brown an einem nicht sonderlich guten Tag, nahm die Tüte freudestrahlend an sich. »Klingt überhaupt nicht blöd, ich freu mich«, sagte er und lachte. »Nur her damit – und euch auch ein frohes Thanksgiving!«
    Den ganzen Weg zurück ins Hotel sagten wir kein Wort, aber unsere Bäuche, die vorher einfach nur wehgetan hatten von viel zu viel Truthahn, waren auf einmal wohlig warm und prickelten vor Glück.
    Runter mit den Spendierhosen!
    Wenn aber Geben offensichtlich derart glücklich machen kann – warum schaue ich dann so oft weg, wenn mich jemand vor dem Supermarkt um Geld bittet oder mir in der U-Bahn eine Obdachlosenzeitung verkaufen will? Wenn es um meine Bequemlichkeit geht, sind mir zehn Euro für ein Taxi selten zu schade – aber einen oder zwei habe ich nicht übrig, wenn mich ein Mensch in einer Notlage darum bittet?
    »Es sind einfach zu viele«, beginnt normalerweise mein innerer Entschuldigungsmonolog. »Wenn ich jedem, der mich fragt, etwas gebe, stehe ich nächsten Monat selber an der Treppe zum U-Bahn-Schacht und muss so tun, als könnte ich Akkordeon spielen.«
    Ich ahne natürlich, dass diese Behauptung Quatsch ist und reiner Selbstbetrug. Deshalb fasse ich den Beschluss, den ganzen nächsten Monat jedem einzelnen Menschen Geld zu geben, der mich darum bittet.
    Gleich am nächsten Tag wird mein Vorsatz auf eine harte Probe gestellt: schnorrende Punks mit Hunden vor der Sparkasse. Ein gebrechlicher Mann mit traurigen Augen am Eingang zum Supermarkt. Am Bahnsteig ein Mann, dem ein Bein fehlt – in der einen Hand eine Krücke, in der anderen einen Pappbecher für Kleingeld. In der U-Bahn eine Frau, die ein Obdachlosenmagazin verkauft. Beim Aussteigen der obligatorische Akkordeonmann. Später zwei Jungs mit Gitarre und Schlagzeug, die eher so aussehen, als würden sie sich auf einer Europarundreise mit ihrer Musik über Wasser halten, als ernsthaft Not zu leiden. Trotzdem: Alle bekommen etwas. Ein oder zwei Euro, je nach Kleingeldlage in meiner Hosentasche. Der Akkordeonspieler hat Pech und bekommt nur einen Schwung 5-, 10- und 20-Cent-Münzen. Zehn bis fünfzehn Euro sind so am Ende des Tages locker weg, denke ich zuerst mit Schrecken – dann erinnere ich mich daran, wie ich, ohne zu zögern, auf »Bestellen« geklickt hatte, als vor einiger Zeit das iPad von Apple erschienen war. In wenigen Sekunden hatte ich mich von dem x-fachen Betrag getrennt, und zwar ohne jede Form von Gewissensbissen oder Bedenken. Jetzt also nicht beim Glück anfangen zu knausern!
    Das Tolle an der Spendierhosen-Politik: Sie macht tatsächlich glücklich. Jeder einzelne dieser Menschen musste sich schließlich überwinden, um überhaupt um Hilfe zu bitten. Und jedem einzelnen sieht man an, wie groß die Freude ist, dass ausnahmsweise mal jemand nicht durch ihn hindurchsieht.
    Der zweite Grund ist eher eigennütziger Natur: Die ewigen inneren Dialoge, in denen Ausflüchte gesucht werden und Argumente fürs Nichtsgeben, verstummen endlich. »Der kauft sich doch eh nur Schnaps!« – »Na und? Würdest du doch auch, wenn du bei dieser Kälte draußen rumsitzen müsstest.« – »Muss ich aber nicht, weil ich hart für mein Geld arbeite.« – »Na komm, so hart doch auch wieder nicht. Milla Jovovich interviewen und ein paar launige Geschichten über das Internet aufschreiben. Hast halt Glück gehabt.« – »Okay, ist ja richtig, ich geb ihm was … Oh, jetzt ist er schon weg.«
    All diese Überlegungen, das Abwägen und Beurteilen, fallen weg. »Simplify Your Life« lautet ein häufiger Ratschlag der Glücksliteratur: das Leben vereinfachen. Wenn es um das Thema Spenden geht, ist der Entschluss, allen etwas zu geben, auf jeden Fall die größtmögliche Vereinfachung – wenn auch nicht unbedingt die billigste.
    Wie wir mit Geld umgehen, also beispielsweise ob es uns eher leicht von der Hand geht oder ob wir vielmehr sparsam sind, ist ein grundlegendes Persönlichkeitsmerkmal und lässt sich kaum von heute auf morgen ändern. »Unsere Einstellung zum Thema Geld entspringt zu einem Großteil unserer Erziehung«, erklärt mir die amerikanische Soziologin Jan
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