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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich
Autoren: Christoph Koch
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Natürlich habe ich dort schon dreimal alles abgesucht, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
    Ich finde vieles in den Ritzen zwischen den Sitzen (das Auto ist immerhin schon fast zwanzig Jahre alt), aber keinen Ring. Erst als ich unter dem Fahrersitz nach dem Eiskratzer taste, mit dem das ganze Unglück begann, macht mein Herz plötzlich einen Sprung. Wie Bilbo Beutlin – nur mit ein wenig kleineren Füßen – starre ich ungläubig auf den Ring in meiner Hand.
    Die Erleichterung ist unbeschreiblich; gleichzeitig komme ich mir aber auch albern vor. Nicht so sehr wegen der Schneewühlerei mit dem Nudelsieb. Eher wegen der dabei empfundenen Verzweiflung. Gibt es nicht schlimmere Dinge auf der Welt als einen verlorenen Ring? Tsunamis und Hungersnöte in der Ferne, Obdach- und Chancenlose vor meiner eigenen Haustür?
    Aber der Ring in meiner Hand ist in diesem Moment konkret, das Leid der Welt leider nicht. Obwohl ich weiß, dass die großen Probleme der Welt samt und sonders weiter bestehen, dass Menschen immer noch hungern und Kriege führen, gehe ich an diesem Abend beschwingt und federnden Schrittes nach Hause, denn das eine kleine Problem, das heute meines war, hat sich innerhalb einer einzigen Sekunde in Luft aufgelöst.
    Manchmal ist das größte Glück einfach nur, wenn ein schon sicher geglaubtes Unglück nicht eintritt. Wenn man noch einmal mit dem Schrecken davonkommt. Oder ganz einfach, wenn man ein in tiefster Verzweiflung bestelltes Metallsuchgerät mit einem Anruf bei der Hotline stornieren kann und sich die Frau dort über die Geschichte mit dem Hochzeitsring kaputtlacht. Ich lache mit und bestelle stattdessen gleich ein neues Nudelsieb.
    »Was ist denn damit passiert?«, fragt Jessica, als sie das alte verdreckt im Mülleimer entdeckt.
    »Ach, nicht so wichtig«, sage ich müde. »Das erzähle ich dir ein anderes Mal.«
    Ein Zentner Truthahn
    Wie viele Menschen tendiere ich normalerweise dazu, solche Missgeschicke abzutun, sobald sie überstanden sind. »War doch klar, dass der Ring wieder auftaucht …«, oder: »Ist ja noch mal gut gegangen …« Diesmal will ich jedoch nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich versuche mich zu erinnern, ob ich während meiner fieberhaften Suche leichtsinnigerweise irgendeinem Gott irgendwelche Dinge versprochen habe für den Fall, dass ich den Ring wiederfinde. Kirchen zu bauen, Opfertiere zu schlachten oder irgendetwas in der Art. Aber nein, da war nichts. Dafür bin ich wohl nicht religiös genug – oder in verfahrenen Situationen einfach nur zu trotzig, um göttliche Hilfe zu erbitten?
    Vielleicht wäre es dennoch eine gute Idee, mich in den kommenden Wochen etwas freigiebiger zu zeigen. Gar nicht im Sinne eines Tauschgeschäfts oder Ablasshandels, sondern weil ich gelernt habe, wie glücklich es machen kann, Fremden etwas zu schenken.
    Es ist noch gar nicht so lange her. Es war der letzte Abend unserer Hochzeitsreise in Kalifornien, der zufällig auf Thanksgiving fiel: jener Feiertag, an dem die Amerikaner ihrer siedelnden Vorfahren gedenken, Gott für die gute Ernte danken und wahnsinnig viele Truthähne verspeisen. Als Tourist ist man an einem solchen Tag, an dem sich das ganze Land in Bewegung und in Flugzeuge setzt, um daheim bei der Familie die immer gleichen alten Streitthemen auszugraben, ein wenig fehl am Platz. Das Restaurant in Los Angeles, in dem wir uns für ein traditionelles Thanksgiving-Dinner angemeldet hatten, war deshalb auch nahezu menschenleer. Umso voller waren die Teller und Schüsseln, die an unseren Tisch gebracht wurden. Nach den Vorspeisen waren wir bereits satt. Der Truthahn-Hauptgang wäre auch für vier Personen ein reichlicher gewesen, die Nachspeisen hätten für acht gereicht. Zwar gibt es in den USA die praktische Tradition des Doggy Bag , in dem man die Essensreste nach Hause tragen kann – aber dass wir am nächsten Morgen diverse Truthahnkeulen, große Mengen Bratensoße und ein Dutzend Cupcakes und Muffins mit auf die Heimreise nehmen würden, schien uns unwahrscheinlich.
    Es war schließlich Jessica, die die rettende Idee hatte: »Komm mit«, sagte sie, griff sich die schwere Papiertüte und zog mich an der Hand hinter sich her.
    Es dauerte keine zwei Minuten, da sahen wir den ersten Obdachlosen, von denen in Los Angeles Tausende ihre Einkaufswagen durch die Straßen schieben. Großartige Idee! Doch natürlich kamen sofort Zweifel. Würde es nicht gönnerhaft und gutsherrenartig wirken, dem armen Mann auf
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