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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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wurde.
    Noch am selben Abend hatte er stirnrunzelnd über sein Problem nachgedacht, denn er wusste, am nächsten Tag würde er nicht mehr über die Umgebung der Burg erfahren, als er schon bei seiner Ankunft wusste. Die Höflinge warteten sicher auf Fehler von ihm, das wusste er; am Nachmittag hatte sich Alasen verlaufen, nachdem sie – sie vermutete absichtlich – von einem Pagen einen falschen Weg gewiesen bekommen hatte. Deshalb hatte er sich um Mitternacht mit ihr und ihrem Lichtläufer Donato, einem seiner alten Freunde, aufgemacht, heimlich die gewundenen Korridore zu erkunden. Jeder von ihnen wählte einen Bereich, der besonders wichtig war. Ausgerüstet mit einer ganzen Sammlung von Gegenständen aus Bronze, Gold, Silber, Kupfer, blauer Keramik, deren Farben jeweils eine bestimmte Bedeutung hatten, hatten sie den Rest der Nacht damit verbracht, sich in den Gängen zurechtzufinden. An allen wichtigen Punkten hatten sie eine Vase, einen Leuchter, eine kleine Statue oder eine Schale auf Tischen und Regalen zurückgelassen.
    »Kupfer für die Küchen«, hatte Alasen zitiert, als sie schließlich erschöpft, aber zufrieden über ihren Trick ins Bett fiel. »Gold für deine Bibliothek, Silber für meine, Bronze für die große Halle, Blau für die Gärten. Aber was, Ostvel, wenn morgen früh irgendjemand alles verändert?«
    »Ihr vergesst eines, meine Prinzessin: Als Ihr den Auftrag gabt, unsere Gemächer neu einzurichten, gabt Ihr auch den Befehl, alles nur anzufassen, um es zu putzen, und nichts zu verändern.«
    »Das habe ich getan? Wie klug von mir.« Sie kicherte.
    Am nächsten Morgen befanden sich all ihre Wegweiser noch an Ort und Stelle. Mit wachsender Zuversicht schlenderten sie daraufhin durch ihr neues Heim. Die Diener waren überrascht. Donato wartete ganze drei Tage, ehe er das gesamte System veränderte. Lachen mussten sie dann über den Lichtläufer; er war es, der den direkten Weg in die rückwärtigen Gärten vergessen hatte.
    Nun, anderthalb Jahre später, musste Ostvel nur noch selten einen Blick auf die Gegenstände werfen, um zu wissen, wo er war. Dennoch fand er sich immer wieder einmal in einem Korridor wieder, der ihm nicht bekannt war und wo er nicht die leiseste Ahnung hatte, wohin er führen könnte. Meist war er dann zu verlegen, um sich bei den Dienern nach der Richtung zu erkundigen. Auf einer dieser wirren Wanderungen hatte er die Archive entdeckt.
    Er hatte nie aufgehört, der Göttin für die Eingebung zu danken, die Unterlagen selbst durchzusehen, anstatt sie unangetastet nach Stronghold oder Drachenruh zu senden. Die Aufzeichnungen von fünf Hoheprinzen – Roelstra und seinen Ahnen – und einer Regentin der Prinzenmark wurden in der Felsenburg aufbewahrt. Es war genug Pergament, um eine Quadratlänge Bücherregale damit zu füllen. Er hatte alles methodisch durchgearbeitet, seit er auf die verschlossene Tür gestoßen war, die zu den dunklen, trockenen Kammern führte. Es war eine Wanderung in die Geschichte. Anfangs hatte er sich von Alasen helfen lassen wollen, aber nach einer seiner ersten Entdeckungen hatte er diesen Gedanken unterdrückt. Denn in den Archiven hatte er, von Pandsalas Hand geschrieben, eine präzise, logische, geheime Liste ihrer Morde gefunden.
    Rohan hatte ihm nur die notwendigsten, nackten Tatsachen mitgeteilt: dass Pandsala während ihrer Herrschaft einige Personen entfernt hatte, die sie für Pols Zukunft als Hoheprinz für hinderlich hielt. Seine Worte waren knapp und bitter gewesen, als er dies Geheimnis enthüllte. Ostvel war trotz aller von Entsetzen erfüllten Neugier nicht weiter der Frage nachgegangen, was und wie es Pandsala getan hatte. Aber er hatte schließlich verstanden, warum man ihren Namen in Rohans und Sioneds Nähe nicht erwähnen durfte und warum sie nicht zu ihrer Feuerbestattung in die Felsenburg gereist waren.
    Roelstras Töchter, sagte er sich kopfschüttelnd, als er die Bibliothekstür wieder versperrte und sich an den riesigen Schreibtisch mit der Schieferplatte setzte. Einer der zahlreichen Schlüssel öffnete eine weitere Kiste mit geheimen Aufzeichnungen. Die weniger wichtigen Archive wurden von vertrauenswürdigen Schreibern durchgesehen. Verträge, Handelsabkommen, Eheverträge, alles, was mit der Leitung eines großen und mächtigen Prinzenreichs zu tun hatte; in ihnen war nichts, was irgendwelche Gefahren barg. Aber alles, was sich in den verschlossenen Truhen befand, las Ostvel selbst. Roelstras Töchter, dachte er
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