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Stern der Göttin

Stern der Göttin

Titel: Stern der Göttin
Autoren: Sandra Melli
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Die Waffe hatte sie selbst gefertigt und die Spitzen aus Hirschgeweih geschnitzt. Anders als sie waren die Stammesleute keine guten Bogenschützen, sondern vertrauten auf ihre Sprungkraft und Schnelligkeit. Laisa aber liebte es, selbstvergessen mit Bogen und Pfeilen zu üben, und war darin so gut geworden, dass sie eine Waldbirne auf hundert Schritt vom Ast schießen konnte. Da diese Früchte zu den Lieblingsleckereien der Katlinge zählten, hatte diese Kunst sie bei den Kleinen recht beliebt gemacht. Aber das hinderte die Kinder nicht, ihr dieselben Streiche zu spielen wie allen anderen.
    »Du solltest eine Decke mitnehmen, sonst frierst du in der Nacht«, sagte Tinka besorgt.
    Laisa schüttelte den Kopf. »Mein Fell ist dick genug! Sollte ich wirklich eine Tierhaut brauchen, um mich einzuhüllen, fange ich sie mir samt Inhalt. Dann habe ich gleich etwas zu essen.«
    »Ach, Kleines, du warst immer ein wenig verrückt! Aber du wirst mir sehr fehlen.« Es klang so traurig, dass Laisa erstaunt aufsah.
    Wie oft hatte Tinka sie gescholten, wenn sie sich nicht so benahm, wie es sich für ein Katzenmädchen gehörte. Solche Worte von ihr zu hören, machte Laisa den Abschied schmerzlich bewusst. Sie umarmte die ältere Kätzin und drückte sie an sich. »Ich danke dir, für alles!«
    »Es war schön mit dir!« antwortete die alte Katzenfrau.
    Tinka hörte sich ja so an, als käme ich nie wieder zurück, fuhr es Laisa durch den Kopf. Aber seltsamerweise hatte sie das gleiche Gefühl. Die Welt da draußen war so groß, und vielleicht fand sie dort Katzenmenschen wie sie selbst und damit ihre eigenen Leute, vielleicht sogar ihre Eltern. Sie atmete scharf ein und wandte sich zum Gehen.
    »Gute Beute, Tinka!«, sagte sie noch, als sie zum Eingang hinaus schlüpfte. Dann konnte sie nur noch an das denken, was vor ihr liegen mochte.
    ☀ ☀ ☀
    Laisa hätte sich nicht vorstellen können, dass es so viele Menschen auf der Welt gab. Dabei sollte der Ort, der von den Katzenmenschen ehrfurchtsvoll »Die Stadt« genannt wurde, nur eine von vielen Siedlungen der Glatthäutigen sein. Obwohl es sie in den Fingerspitzen juckte, die Ansammlung von Dächern und die Räume darunter zu untersuchen, hielt sie sich zurück, denn inzwischen hatte sie erfahren, dass den Katzenleuten der Aufenthalt in der Stadt verboten war. Nun erwog sie, in der Nacht die Mauern hochzuklettern und sich ein wenig umzusehen, denn weder die geschlossenen Tore noch die Mauern würden sie aufhalten.
    Grom, der seine Leute bis zum Sammelplatz der Frachtwagen begleitet hatte, kam auf sie zu und blickte sie tadelnd an. »Ich sehe dir an der Nasenspitze an, was du vorhast. Aber daraus wird nichts, verstanden? Betrittst du die Stadt, wirst du nicht mit dem Handelszug ziehen, sondern umgehend ins Dorf zurückkehren.«
    Mit dieser Drohung war es ihm ernst, das spürte Laisa, und da sie nicht bereit war, auf das Abenteuer ihres Lebens zu verzichten, wandte sie dem Menschenort mit seinen hoch aufragenden Mauern und den vielen Türmen schmollend den Rücken zu. Sie ärgerte sich jedoch nicht über ihren Ziehvater, sondern über die Arroganz der Menschen, die ihre Tore vor den Katzenleuten versperrten, als handelte es sich um schmutzige und gefährliche Tiere. In ihrem Dorf war das anders. Dort durften Gäste alle Häuser betreten.
    Laisa hing diesen unerfreulichen Gedanken nicht lange nach, denn sie wollte lieber an schöne Dinge denken, als sich ihrem Unmut hinzugeben. Daher erinnerte sie sich wieder an die wunderbar riechende Frau, die sie seit jener Begegnung am Dorfeingang nicht mehr gesehen hatte. Wie gerne hätte sie ihren Kopf in deren Schoß gelegt, die Augen geschlossen und dabei von Abenteuern in Ländern geträumt, in denen man einer Katzenfrau nicht die Türen verschloss. Doch sie bemühte sich vergebens, die Witterung der Fremden aufzunehmen, und empfand plötzlich einen schmerzhaften Verlust. Irgendetwas hatte diese Frau an sich gehabt, das ihr nun wie ein Hauch ferner Heimat vorkam. Die Fremde musste den Ort kennen, von dem sie stammte, und hätte ihr gewiss etwas darüber erzählen können.
    Bei dem Gedanken lachte sie über sich selbst. Das waren nur Wunschträume. Sie musste auf das schauen, was vor ihr lag.
    »Vergiss die Frau und auch die Städter«, sagte sie zu sich selbst und meldete sich, um sich abzulenken, freiwillig für die Nachtwache.
    Grom blickte sie misstrauisch an. »Du hast doch nicht vor, dich heimlich in die Stadt zu schleichen?«
    »Du hast
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