Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
weiß, wen kümmert’s? Wir Steinböcke sind nicht immer so vorsichtig, wie man meinen möchte.
    Jemand klopfte an die Badezimmertür. Sie öffnete und sah das leere, hoffnungsvolle Gesicht von Martin Bliss in der Nähe der Decke. Die Augen ein wenig hervortretend, die Wangen gerötet.
    »Es hieß, Sie seien krank. Kann ich etwas für Sie tun?« So nett, so süß. Sie berührte seinen Arm, streifte seine Wange mit ihren Lippen. Hinter ihm im Flur stand ein breitgebauter Mann mit kurzgeschorenen blonden Haaren, eisigblauen Augen, einem vollen, perfekten Gesicht. Sein Lächeln gleißte.
    »Das ist leicht«, sagte er. »Steinbock.«
    »Können Sie mein Zeichen –« Sie verstummte betäubt. »Erraten«, ergänzte sie ganz leise. »Wie haben Sie das gemacht? Oh.«
    »Ja. Der bin ich.«
    Sie fühlte sich mehr als nackt, ausgezogen bis auf die Ganglien, die Synapsen.
    »Was ist der Trick dabei?«
    »Kein Trick. Ich lausche. Ich höre.«
    »Sie hören die Menschen denken?«
    »Mehr oder weniger. Glauben Sie, es sei ein Partyspiel?« Er war schön, aber erschreckend, wie ein herabsausendes Samuraischwert. Sie begehrte ihn, wagte es aber nicht. Er kennt sich aus mit mir, dachte sie. Vor ihm hätte ich nie Geheimnisse. Er sagte traurig: »Das macht mir nichts aus. Ich weiß, daß ich viele Leute erschrecke. Manche stört es nicht.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Tom«, sagte er. »Hallo, Nikki.«
    »Sie tun mir sehr leid.«
    »Gar nicht. Sie können sich selbst etwas vormachen, wenn es sein muß. Aber nicht mir. Außerdem schlafen Sie nicht mit Männern, die Ihnen leid tun.«
    »Ich schlafe nicht mit Ihnen.«
    »Sie werden«, sagte er.
    »Ich dachte, Sie wären nur Gedankenleser. Man hat mir nicht gesagt, daß Sie auch prophezeien.«
    Er beugte sich nah an sie heran und lächelte. Das Lächeln demolierte sie. Sie mußte kämpfen, um nicht zu fallen.
    »Ich kenne mich wirklich aus mit Ihnen«, sagte er mit leiser, rauher Stimme. »Ich rufe Sie nächsten Dienstag an.« Als er sich entfernte, sagte er: »Sie irren sich. Ich bin Jungfrau. Ob Sie es glauben oder nicht.«
    Nikki kehrte betäubt in den Salon zurück.
    »…die Gestalt des Mandala«, sagte Nicholson gerade. Seine Stimme war dunkel, gebündelt, ein reiner Basso cantate. »Das Entscheidende, das jedes Mandala hat, ist eine Mitte: der Ort, wo alles geboren wird, das Auge von Gottes Geist, das Herz von Dunkelheit und Licht, das Innere des Sturms. Gut: du mußt zur Mitte gehen, den Wirbel an der Grenze von Ying und Yang finden, dich genau in den Mittelpunkt des Mandala versetzen. Zentner dich. Kannst du der Metapher folgen? Zentrier dich im Jetzt, im ewigen Jetzt. Sich von der Mitte zu entfernen, heißt, sich vorwärts zum Tod, rückwärts zur Geburt bewegen, stets die fatalen polarisierten Ausschläge; aber wenn du fähig bist, dich fortwährend im Brennpunkt des Mandala zu halten, genau im Mittelpunkt, hast du Zugang zur Quelle der Erneuerung, du wirst ein Organismus, der sich fortwährend selbst zu heilen, selbst zu erneuern, in Regionen jenseits des Selbst auszudehnen vermag. Verstehst du? Die Macht des –«
    Steiner sagte sanft neben ihr: »Wie schön du in den ersten Augenblicken erotischer Fixierung bist.«
    »Das ist eine herrliche Party.«
    »Lernst du interessante Leute kennen?«
    »Gibt es eine andere Sorte?« fragte sie.
    Nicholson löste sich abrupt aus dem Kreis seiner Zuhörer und schritt durch den Raum, allein, in einem schnellen, entschlossenen Springerzug zur Bar. Nikki, die hineilte, um ihn abzufangen, prallte mit einem kahlrasierten, Tablett tragenden Diener zusammen. Das Tablett rutschte von den dicken Fingerspitzen des Mannes und erhob sich wie ein rotierender Schild in die Luft; ein Regen von aufgespießtem Fleisch in einer Öliggrünen Currysauce bespritzte den weißen Teppich. Der Diener war völlig regungslos. Er stand einen langen, peinvollen Augenblick erstarrt wie ein mexikanisches Steinidol mit dickem Hals und platter Nase, dann drehte er den Kopf langsam nach links und betrachtete bedauernd seine starre’, gespreizte Hand, die nun ihres Tabletts beraubt war; schließlich drehte er den Kopf Nikki zu, und sein normalerweise ausdrucksloses Gesicht nahm für einen vorbeizuckenden Augenblick einen Ausdruck tiefsten Hasses an, eine auffunkelnde Ausstrahlung von Verachtung und Ekel, aber sofort wieder verblassend. Er lachte: hu-hu-hu, ein wieherndes Kichern. Seine Überlegenheit war vernichtend. Nikki zappelte im Treibsand der Demütigung. Hastig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher