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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele
Autoren: Robert Silverberg
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gelassen ihr Bewußtsein, wie Moses das Rote Meer, und rammte etwas in ihre Stirn, etwas Dickes, aber Körperloses, einen Schlagstock aus Nebel. Sie bebte und zuckte zurück. Sie kam sich geschändet vor. Es war wie das erstemal im Bett, in jenem Augenblick, als das ganze Herumtun endlich vorbei war, das Küssen und Nagen und Streicheln, und plötzlich dieser Gegenstand tief in ihrem Körper. Sie hatte dieses Gefühl des Aufgespießtseins nie vergessen. Aber es war natürlich nicht nur ein Eindringen gewesen, sondern auch eine Quelle der Ekstase. Wie hier. Der Gegenstand in ihr war das Bewußtsein Nicholsons. Staunend erforschte sie seine Oberfläche, starr und verwittert, zernarbt durch die vielen Abschmelzungen des Wiedereintritts. Fuhr mit ihren zitternden Händen über die bronzene Rauheit. Blieb außerhalb. Tom, der Gedankenleser, gab ihr einen Stoß. Weiter, weiter. Tiefer. Nicht zurückhalten. Sie schlang sich um Nicholson und drang in ihn ein wie Ektoplasma in Sand. Plötzlich verlor sie die Orientierung. Die unstete, undurchdringliche Grenze, die das Ende ihres Selbst und den Anfang des seinen trennte, wurde undeutlich. Es war unmöglich, zwischen ihren und seinen Erfahrungen zu unterscheiden, noch konnte sie die den Pulsschlag ihres Nervensystems von dem durch seines fließenden trennen. Phantomerinnerungen fielen sie an und verschlangen sie. Sie wurde verwandelt in einen Knoten reiner Wahrnehmung, ein stetiges, kühles, isoliertes Auge, das betrachtete und registrierte. Bilder zuckten. Sie mühte sich einen grellen, verschneiten Berggrat hinauf, mit gezackten Himalayagipfeln, die über ihr am weißen Himmel hingen, und einem Yak mit warmer Schnauze, das müde neben ihr hertrottete. Ein Zug dunkelhäutiger kleiner Männer begleitete sie, schräge Augen, dicke Mäntel, dicke Stiefel. Der Gestank nach ranziger Butter, die schneidende Schärfe eines unglaublichen Windes: und da, im plötzlichen Sonnenlicht schimmernd, eine Masse flammenden, gelben Mauerwerks mit tausend funkelnden Fenstern, ein Gebäude, ein Lamakloster auf einem Berggrat. Die nasalen Töne ferner Hörner und Trompeten. Das heisere Singen lotusbeiniger Mönche. Was sangen sie? Om? Om? Om! Om, und Fliegen summten um ihre Nase, und sie lag zusammengekauert in einem dünnen Kanu, lautlos auf einem mitternächtlichen Fluß im Herzen Afrikas fahrend, ertrinkend in Feuchtigkeit. Muskulöse nackte Männer mit purpurschwarzer Haut kauerten neben ihr. Schwitzende Wedel baumelten von wucherndem Gestrüpp; die Schnauzen von Krokodilen erhoben sich wie gezahnte Blumen aus dem dunklen Wasser; große, ekelerregende Orchideen blühten hoch in den glattstämmigen Bäumen. Und am Ufer fünf Weiße, in elisabethanischer Kleidung, breitkrempige Hüte, welke, verschwitzte Kragen, Spitze, Schmuckschnallen, krause, rote Bärte. Errol Flynn als Sir Francis Drake, die Donnerbüchse in der Ellenbeuge baumelnd. Die Weißen lachten, winkten, riefen den Männern im Kanu etwas zu. Bin ich Sklave oder Sklavenhalter? Keine Antwort. Nur ein Verschwimmen, und eine neue Vision: Herbstlaub, hereingeweht durch die offenen Eingänge strohgedeckter Hütten, fröstelnde Ochsen, in nackten Stoppelfeldern kauernd, grimmige, schnauzbärtige Männer mit kurzgeschorenen Haaren, die schräg dem Horizont entgegenritten. Kreuzfahrer? Oder ungarische Krieger, die den gefürchteten Mongolen entgegenziehen? Verteidiger des gefährdeten angelsächsischen Reiches gegen die normannischen Eindringlinge? Sie konnten dies alles sein. Aber immer das stete, kühle Auge, immer das unbewegte Bewußtsein im Mittelpunkt jeder Szene. Er, ewig, alles überdauernd. Und dann: der Richtung Westen rollende Zug, weißen Rauch ausstoßend, die Prärien dehnen sich bis in die Unendlichkeit, große, braune Büffel mit wilden Augen versperren den Weg, der Mann mit den dichten, langen Haaren lacht, er wirft ein Zwanzigdollar-Goldstück auf den Tisch, greift nach seiner Büchse – Springfield Kaliber 50, Hinterlader –, zielt beiläufig durch die Tür des fahrenden Zuges, drückt ab, noch einmal, ein drittes Mal. Drei zottige braune Kadaver neben den Gleisen, und der Zug rollt weiter. Ihr Arm und die Schulter prickeln vom Rückstoß dieser Schüsse. Dann: eine stinkende Hafengegend, Ballen von Gewürznelken und Pfefferschoten und Zimt; kleine, braunhäutige Männer mit Turban und Lendenschurz streiten unter einer unbarmherzigen Sonne. Winzige, unregelmäßige Silbermünzen glitzern in ihrer Hand. Das Geschnatter
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