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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele
Autoren: Robert Silverberg
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einen Anhänger aus der Brust und legte die goldene Kette um ihren Hals. »Für Sie«, krächzte er und floh. Sie betastete das Schmuckstück. Ein glatter, grüner Stein. Jade? Smaragd? Auf seiner kuppelartigen Oberfläche war das Schleifenkreuz eingraviert, die Crux ansata. Das Geschenk des Lebens, von einem Sterbenden. Sie winkte ihm über einen Wald von Köpfen hinweg liebevoll zu und zwinkerte. Bliss kam zurück.
    »Sie spielen etwas von Schönberg«, meldete er. »›Verklärte Nacht‹.«
    »Wie herrlich.« Sie schnippte den Anhänger hoch und ließ ihn auf ihre Brüste zurückfallen. »Gefällt er Ihnen?«
    »Ich bin sicher, daß Sie ihn eben vorhin noch nicht gehabt haben.«
    »Er ist gesprossen«, erwiderte sie. Sie fühlte sich erhoben, aber nicht mehr so stark wie kurz nach der Trennung von Nicholson. Ihr Gefühl, Brennpunkt zu sein, hatte sie verlassen. Die Party wirkte chaotisch. Paare bildeten sich, lösten sich auf, bildeten sich neu; schattenhafte Gestalten stahlen sich zu zweit und zu dritt zu den Schlafzimmern; die Diener hielten ihre Tabletts mit Getränken und Imbissen den verbleibenden Gästen drängender hin; der Hagel war wieder zu Schnee geworden, und fedrige Massen prallten lautlos an die Fenster, blieben kleben, offenbarten ihre schimmernden Mandala-Strukturen für schmerzhaft kurze Augenblicke, bevor sie zerrannen. Nikki bemühte sich, ihre zentrale Position wiederzuerlangen. Sie gab sich einer anregender Phantasievorstellung hin: Nicholson kam zu ihr, berührte förmlich ihre Wange und sagte: ›Du wirst eine der Auserwählten sein.‹ In weniger als zwölf Monaten würde die Zeit für ihn kommen, sich mit seinen sieben noch nicht benannten Schülern zu versammeln, um das neue Jahrhundert zu begrüßen, und er würde ihre Hände in seine Hände nehmen, er würde die Vitalität seines Nichtsterbens in ihre Körper pumpen, mit ihnen das Geheimnis teilen, das vor tausend Jahren mit ihm geteilt worden war. Wer? Wer? Wer? Ich. Ich. Ich. Aber wohin war Nicholson gegangen? Seine Aura, sein Leuchten, der Kegel imaginären Lichts, von dem er umgeben zu sein schien – nirgends.
    Ein Mann mit einer gelackten orange-roten Perücke begann, fast unter Nikkis Nase, mit einer viel jüngeren Frau heftig zu streiten, die Girlanden biolumineszenter Perlen trug. Offenbar Mann und Frau. Sie hatten beide scharfe Züge mit glänzenden, vorquellenden Augen, starren Gesichtern und lebhaft arbeitenden Backenmuskeln. Lebt man lange genug zusammen, wird man einander ähnlich. Ihr Disput hatte etwas Schales, Rituelles, so als hätten sie ihn vorher schon zu oft inszeniert: Sie erklärten einander die Ereignisse, die den Streit ausgelöst hatten, legten sie aus, rekapitulierten sie, färbten sie, rechtfertigten, griffen an, wehrten ab – du hast das gesagt, weil, und das löste bei mir diese Reaktion aus, weil… nein, im Gegenteil. Ich habe dies gesagt, weil du das gesagt hast – alles in einem leisen, scharfen Ton, anwidernd, quälend, der pure Tod.
    »Er ist ihr biologischer Vater«, sagte ein Mann neben Nikki. »Sie war eines der ersten Kinder in vitro, und er war der Spender, und vor fünf Jahren spürte er sie auf und heiratete sie. Eine Lücke im Gesetz.« Fünf Jahre? Sie klangen, als seien sie fünfzig verheiratet. Mauern von Qual und Langeweile sperrten sie ein. Nur ihre Augen waren lebendig. Nikki fand es unmöglich, sich die beiden im Bett vorzustellen, die Körper im Akt der Liebe ineinander verschlungen. Akt der Liebe, dachte sie und lachte. Wo war Nicholson? Herzog Alexius, mit rotem, schweißbedecktem Gesicht, verbeugte sich vor ihr.
    »Ich werde bald gehen«, teilte er ihr mit, und sie nahm die Ankündigung ernsthaft, aber ohne Reaktion auf, so, als habe er sich nur zu den Schwankungen des Sturms geäußert oder griechisch gesprochen. Er verbeugte sich noch einmal und entfernte sich. Nicholson? Nicholson? Sie wurde wieder ruhig und fand ihr Zentrum. Er wird zu mir kommen, wenn er bereit ist. Es hat Kontakt zwischen uns gegeben, und er war echt und gut.
    Bliss, neben ihr, gestikulierte und sagte: »Ein Rabbi syrischer Abstammung, ehemals Moslem, hochgeachtet bei jüdischen Theologen.«
    Sie nickte, schaute aber nicht hin.
    »Ein Astronaut, eben zurück vom Mars. Ich habe noch nie einen Menschen mit einer derartigen Bräunung gesehen.«
    Der Astronaut war nicht von Interesse für sie. Sie arbeitete daran, wieder in Hochstimmung zu kommen. Die Party ging auf einen Höhepunkt zu, fühlte sie, auf eine
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