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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele
Autoren: Robert Silverberg
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schreckliches Geheimnis nun freigebig den Mitgliedern vom Klub ›Buch des Monats‹ an. Warum hatte er beschlossen, aufzutauchen und sich zu enthüllen? Weil dies der notwendige Augenblick der Enthüllung ist, hatte er gesagt. Wo er vortreten mußte als das, was er war, so daß er seine Gabe anderen mitteilen konnte, damit er sie nicht verlor. Damit er sie nicht verlor. Beim Glockenschlag des neuen Jahrhunderts müsse er seinen Siegerpreis des Lebens teilen. Ein Dutzend Personen umringte ihn und fing sein Glühen auf. Er blickte durch eine Palisade von Schultern, und sein Blick blieb auf ihr haften; Nikki kam sich durchbohrt vor, erhoben, auserwählt. Wärme breitete sich durch ihre Lenden aus, wie ein Fluß von geschmolzenem Metall, wie ein Strom von heißem Honig. Sie ging auf ihn zu. Eine Leiche verstellte ihr den Weg. Totenschädel, Pergamenthaut, Alptraumaugen. Eine schuppige Hand streifte ihren nackten Oberarm. Eine schrecklich verbrauchte Stimme krächzte: »Für wie alt halten Sie mich?«
    »O Gott!«
    »Für wie alt?«
    »Zweitausend?«
    »Ich bin achtundfünfzig. Die Neunundfünfzig werde ich nicht erleben. Hier, rauchen Sie davon eine.« Mit zitternden Händen bot er ihr ein winziges Elfenbeinröhrchen an. An einem Ende befand sich ein Monogramm in gotischer Schrift- FXB –, am anderen eine durchsichtige grüne Kapsel. Sie drückte auf die Kapsel, und eine flackernde blaue Flamme züngelte hoch. Sie inhalierte.
    »Was ist das?« fragte sie.
    »Meine eigene Mixtur. Soma fünf. Schmeckt es Ihnen?« »Ich bin high«, sagte sie. »Völlig high. O Gott!« Die Wände zerflossen. Der Schnee war zu Alufolie geworden. Sofortwirkung. Die Leiche hatte einen goldenen Lichtschein. Dollarzeichen tauchten wie Stigmata auf seiner zerfurchten Stirn auf. Sie horte das Donnern der Brandung, das Brüllen der Wellen. Das Deck schwankte. Die Masten brachen. Frau über Bord, schrie sie und hörte ihre unhörbare Stimme durch einen Echotunnel verschwinden, boingg, boingg, boingg. Sie klammerte sich an seine zerbrechlichen Handgelenke. »Sie Bastard, was haben Sie mit mir gemacht ?«
    »Ich bin Francis Xavier Byrne.«
    Oh. Der Milliardär. Byrne Industries, der große Konzern. Steiner hatte ihr für heute abend einen Milliardär versprochen.
    »Werden Sie bald sterben?« fragte sie.
    »Nicht später als Ostern. Geld kann mir nicht mehr helfen. Ich bin eine wandelnde Metastase.« Er öffnete sein Rüschenhemd. Etwas Grelles, Metallisches, einem Kettenhemd gleich, bedeckte seine Brust. »Lebenserhaltungssystem«, vertraute er ihr an. »Es hält mich in Betrieb. Wenn ich es eine halbe Stunde abnähme, wäre ich erledigt. Sind Sie Steinbock?«
    »Woher wußten Sie das?«
    »Ich mag im Begriff sein, zu sterben, aber ich bin nicht dumm. Sie haben das Steinbock-Funkeln im Auge. Was bin ich?«
    Sie zögerte. Auch seine Augen funkelten. Selfmademan, phantastischer Sinn für Geschäfte, Energie, Arroganz. Steinbock, natürlich. Nein, zu einfach.
    »Löwe«, sagte sie.
    »Nein. Noch ein Versuch.« Er drückte ihr ein zweites Röhrchen mit Monogramm in die Hand und schritt davon. Sie war vom letzten Trip noch nicht zurück, auch wenn die auffälligsten Wirkungen nachgelassen hatten. Partygäste umschwirrten und umströmten sie. Sie konnte Nicholson nicht mehr sehen. Der Schnee schien sich in Hagel zu verwandeln, kleine, harte Teilchen, an die riesigen Fenster ratternd, wo sie weiße Radierspuren hinterließen; oder war nur ihre Wahrnehmung geschärft? Das Dröhnen der Unterhaltung schien an- und abzuschwellen, so, als drehe jemand an einem Regler. Die Lichter schwankten in kontrapunktischem Rhythmus. Sie fühlte sich schwindlig. Ein Tablett mit goldenen Cocktails schwebte an ihr vorbei, und sie zischte: »Wo ist das Bad?«
    Den Flur entlang. Fünf Fremde drängen sich vor der Tür zusammen und unterhielten sich flüsternd. Sie schwebte durch sie hindurch, packte den kalten Rand des Beckens, schob ihr Gesicht an den ovalen Konkavspiegel. Ein Totenkopf. Pergamenthaut, Alptraumaugen. Nein! Nein! Sie blinzelte, und ihre eigenen Züge tauchten wieder auf. Fröstelnd unternahm sie den Versuch, sich zusammenzunehmen. Der Medizinschrank enthielt eine verlockende Sammlung von Drogen, Steiners Allzweckmittel. Ohne auf die Etiketten zu sehen, griff Nikki nach einer Handvoll Fläschchen und schluckte wahllos Pillen. Eine flache rote, eine konische grüne, eine üppige gelbe Gelatinekapsel. Vielleicht Kopfwehtabletten, vielleicht Halluzinogene. Wer
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