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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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Kirche, um das erste Mal in meinem Leben die Kommunion zu empfangen. Bin aufgeregt. Die Mädchen tragen schicke weiße Kleider, die Jungs Anzug und Krawatte. Ich trage nur einen Anzug. Die Krawatten sind alle. In der Kirche beten wir und loben und preisen. Es gibt viel zu beten und zu loben und zu preisen, denn es dauert ewig, bis der Priester zum Tabernakel geht. (Ein Tabernakel ist so eine Art Kühlschrank, indem der Priester das Abendmahl aufbewahrt.) Wir stellen uns in einer Reihe auf. Als ich dran bin, zeigt der Priester mir ein Stück Esspapier und sagt, das sei der Leib Christi. Wieso der Leib Christi? Wir haben doch gelernt, dass wir durch die Kommunion des letzten Abendmahls Christi gedenken, und jetzt soll ich ihn auf einmal essen? Frage den Priester, ob Jesus von seinen Jüngern auch gegessen wurde. Der Priester schaut mich lächelnd an. Ob ich im Kommunionsunterricht nicht aufgepasst hätte, das mit der Hostie sei nur symbolisch. Wie der Osterhase. Der stünde ja auch nur symbolisch für das Opferlamm. WAS? ES GIBT KEINEN OSTERHASEN? Mein Glaube ist erschüttert und ich fange an zu weinen. Der Priester steckt mir das Esspapier einfach in den Mund und schiebt mich weg. Kaue symbolisch auf Jesus herum. Hätte ich das alles vorher gewusst, ich hätte mir das mit der Kommunion wahrscheinlich noch mal überlegt. Mama meint, da gäbe es nichts zu überlegen, Kirche sei eine schöne Einrichtung, tolerant und verständnisvoll. Ich würde das schon noch lernen, denn wir würden ja jetzt jeden Sonntag in die Kirche gehen und das sei immer ein sehr glückliches Ereignis.
19. April 1970
    Sonntag. Sind mit der ganzen Familie in der Kirche. Letzten Sonntag konnten wir nicht, weil Mama krank war. Irgendeine Frauenkrankheit, die einmal im Monat kommt. Der Priester steht auf der Kanzel und predigt über Sünde und sündiges Fleisch. Dabei schaut er ganz oft Mama an. Der Priester redet immer lauter. Schließlich schreit er richtig und bekommt vor lauter Toleranz einen roten Kopf. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass Mama das Gelübde der Ehe gebrochen habe und zum zweiten Mal verheiratet sei. Das wäre Sünde. Und eine Sünderin wie Mama sei nicht würdig, unter dem Dach seiner Gemeinde zu wohnen. Mama hat genug Predigt und sagt zu uns, dass sie jetzt gehen möchte.Kann ich verstehen. Wenn ich in der Schule angeschnauzt werde, möchte ich auch immer gehen. Ich darf aber nicht. Mama aber schon.
    Draußen beschließe ich, mir die Sache mit Kirche und Religion später einmal genauer anzusehen. Bis dahin jedenfalls werde ich wohl erst mal nicht mehr in die Kirche gehen. Man kann auch ohne Kirche mit Gott reden. Wir haben ja Telefon.

11. Nordsee
11. Juli 1972
    Hurra! Wir fahren an die Nordsee! Zelten. Sonst sind wir in den Ferien immer ins Sauerland gefahren. Zu Tante Gerda. Freue mich auf das viele Wasser, denn das gibt es bei Tante Gerda nicht. Außer in ihren Beinen.
12. Juli 1972
    Angekommen! Nachdem wir unser Familienzelt aufgebaut haben, erkunde ich die Gegend und renne direkt an den Strand. Entdecke dort einen Seeigel. Mit meinem rechten Fuß. Sehr schmerzhaft. Bekomme einen Verband und darf nicht ins Wasser.
13. Juli 1972
    Vertreibe mir die Zeit und sammele Strandgut. Einen toten Fisch und vier Bikinis. Verstaue meinen Fund im Kofferraum von Papas Auto. Später gibt es Ärger mit Mama. Sie ist sauer. Auf mich wegen dem Fisch und auf Papa wegen der Bikinis.
    Mittags gehen wir in ein Restaurant. Hier gibt‘s nur Fisch: Fischbrötchen, Fischstäbchen, gebackenen Fisch, geräucherten Fisch, gekochten Fisch, gedünsteten Fisch. Mag keinen Fisch und möchte was anderes essen. Mama gibt nach und bestellt für mich – Krabben.
14. Juli 1972
    Am Nachmittag mache ich eine interessante Bekanntschaft am Strand. Mit einer Feuerqualle. Bekomme
    einen weiteren Verband, diesmal um den linken Fuß. Bewegung nun stark eingeschränkt.

15. Juli 1972
    Will mir Krücken bauen und breche von einem Baum einen Ast ab. Der Ast hat einen Knubbel am Ende, der genau unter meine Achsel passt. Das ist gut. Weniger gut ist, dass es sich bei dem Knubbel um ein Wespennest handelt. Bekomme an den Armen einen Verband und sehe nun aus wie Tutenchamun.
16. Juli 1972
    Neue Krücken gebastelt. Völlig wespenfrei. Unternehme damit eine Wattwanderung. Humpele tief ins Watt und genieße die Vorzüge der Einsamkeit. Als ich zurückwill, bleib ich mit meinen Krücken im Schlick stecken und erfahre die Nachteile der Einsamkeit. Der Strand ist so weit weg, dass mich
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