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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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Hühner. Keines legt ein Ei.
10. September 1964
    Mama hat Papa gestern verboten, noch mehr Hühner mitzubringen. Papa gehorcht und bringt stattdessen eine Sau mit. Trotzdem ist Mama irgendwie sauer. Die Sau soll bei uns zu Wurst werden. Vorher baut Papa ihr einen Stall.
16. September 1964
    Die Hühner legen immer noch keine Eier. Die Sau auch nicht. Dafür stinkt sie. Mama meint, im Dorf würde man schon über den Gestank reden. Habe Angst, dass die Sau wegkommt, und besprenkele sie mit Kölnisch Wasser. Damit sie besser riecht. Das macht Tante Gerda auch immer so, wenn sie schwitzt und anfängt, streng zu riechen. Damit die Sau nicht geschlachtet wird, gibt es eine Nottaufe. Weil mir in der Eile kein anderer Name einfällt, taufe ich die Sau auf den Namen Gerda.
18. September 1964
    Tante Gerda ist zu Besuch. Stolz erzähle ich, dass unsere Sau denselben Namen hat wie sie. Und dass das kein Zufall sei, sondern daran läge, dass sie genauso riecht wie unsere Sau. Ich glaube, Tante Gerda ist sehr gerührt, denn sie fängt vor Freude an zu weinen.
26. September 1964
    Mama sagt, Gerda muss weg. Die Sau, nicht die Tante. Am Abend ist sie wirklich weg. Hatte wohl vergessen, nach dem Füttern den Stall zu schließen. Wir veranstalten eine Treibjagd durchs Dorf. Komme mir vor wie ein Indianer auf Büffeljagd. Nur dass Büffel nicht nach Kölnisch Wasser riechen.
28. September 1964
    Ein Mann mit einer Schürze kommt, um Gerda abzuholen. Frage ihn, wohin er sie bringt. Der Mann antwortet, dass sie in den Fleischwolf kommt. Mama erklärt ganz schnell, dass Fleischwolf der Name eines sehr, sehr schönen Schweinetiergartens wäre. Bin misstrauisch. Mama und der Mann gucken sich komisch an. Dann sagt der Mann, dass Mama Recht hätte, und schenkt mir zum Trost eine Knackwurst. Jetzt bin ich überzeugt, denn ein Mann, der eine so leckere Knackwurst macht, kann bestimmt nicht lügen.
29. September 1964
    Der Mann mit der Schürze ist noch mal gekommen, um uns noch viel mehr Knackwürste zu schenken. Und Braten und Blutwurst. Frage ihn, wie es Gerda geht. Gut, sagt der Mann, schenkt mir wieder eine Knackwurst und sagt, die Wurst sei von Gerda. Freue mich. Hab noch nie etwas von einem Tier geschenkt bekommen. Schon gar nicht von einer Sau. Und erst recht keine Wurst. Gerda muss mich echt lieb haben. Habe Gerda auch lieb. Esse die Wurst. Lecker! Jetzt weiß ich, warum man immer sagt, dass Liebe durch den Magen geht.
2. Oktober 1964
    Papa kommt rein und erzählt, dass Gerda im Auto sitzt. Renne raus und rufe begeistert, dass die Sau wieder da ist. Stoße fast mit Tante Gerda zusammen, die mich ernst anguckt. Später reden Mama, Papa und Tante Gerda laut über meine Erziehung.
4. Oktober 1964
    Hurra! Unsere Hühner legen Eier! Am Abend gibt es Omelett!
5. Oktober 1964
    Russenei!
6. Oktober 1964
    Solei.
7. Oktober 1964
    Rührei.
8. Oktober 1964
    Papa will mal was anderes essen. Ich auch. Mama meint, das hätten wir uns selber zuzuschreiben. Wir wollten ja unbedingt die Eier.
9. Oktober 1964
    Ein anderer Mann mit Schürze holt unsere Hühner ab und bringt sie in einen sehr schönen Hühnertierpark. Bin traurig, aber wahrscheinlich haben die Hühner es da besser als bei uns. Winke mit dem Taschentuch hinterher. Ob wir uns mal wiedersehen? Mama tätschelt mir den Kopf und meint, dass wir uns ganz bestimmt sehr bald wiedersehen. Glaube ihr und bin nicht mehr ganz so traurig. Am Abend gibt‘s zum Trost Hühnchen. Mama ist die Beste!

3. Zahnarzt, die erste
14. Juni 1965
    Werner und ich spielen Zahnarzt. Werner war schon mal beim Zahnarzt und weiß, wie‘s geht. Er macht den Mund auf und ich muss reingucken. Dann muss ich fragen, ob was wehtut, und Werner sagt nein. Langweilig. Dann bin ich dran mit Mundaufmachen. Werner kennt sich aus, denn er leuchtet mir direkt mit Papas Schreibtischlampe in den Mund. Ich schlucke Staubfussel und Werner fragt, ob’s wehtut. Ich sage nein. Dann nimmt Werner einen 17er Maulschlüssel in die Hand und will damit auf meine Zähne klopfen. Ich will was anderes spielen, aber Werner meint, Zahnärzte würden das so machen und sie würden auch so ein Werkzeug benutzen und schließlich hieße es ja auch Maulschlüssel. Werner klopft vorsichtig und fragt, ob’s wehtut. Nein. Werner meint, es muss aber wehtun, sonst hätte die Zahnarztspielerei keinen Sinn, und ob es bestimmt immer noch nicht wehtut. Nein. Werner haut noch stärker zu. Bis jetzt wusste ich nicht, wie sich Zahnschmerzen anfühlen. Jetzt weiß ich es.
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