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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst
Autoren: Alain de Botton
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»Ihre Doktrin war eine durch und durch vergeistigte, aber am Ende war von ihnen nur das Eine zu hören: ›Könnten Sie uns bitte noch ein wenig Geld schicken?‹« Sechs Monate nach der Kommunen-Gründung trennten sich die Fruitlander in bitterem Streit — eine weitere traurige Parabel enttäuschten Idealismus bei Bohemiens, die sich standhaft weigerten, selbst minimale bürgerliche Vorkehrungen zu treffen.
    Es wäre unsinnig und abwegig, die bürgerlichen Statusvorstellungen zu fürchten, wäre die bürgerliche Lebensweise tatsächlich so irregeleitet und unbeeindruckend, wie es Bohemiens gelegentlich zu glauben drängt. Und daraus, dass viele gute Ideen im mittleren Westen schockierend wirkten, lässt sich schwerlich folgern, dass alles, was dort schockiert, außergewöhnlich sein muss. Eben nur weil Juristen und Apotheker meist hervorragende Arbeit leisten, wandelt manch einen der Verdacht an, er müsse dennoch einiges an ihrem Verhalten oder ihrer Mentalität bemängeln.
     

 
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    Was nicht heißt, dass man sich zurückhalten soll. Ungeachtet aller Auswüchse an der Peripherie, kann man der Boheme kaum das Verdienst absprechen, sehr gekonnt wider den bourgeoisen Stachel gelockt zu haben. Sie hat dem Bürgertum vorgeworfen, dass es die Bedeutung des Reichtums für einen gelungenen Lebensentwurf maßlos überschätzt, dass es das Scheitern vorschnell verurteilt und den äußerlichen Erfolg sklavisch anbetet, dass es sich an verlogene und oberflächliche Begriffe von Anstand und Moral klammert, dass es berufliche Qualifikation mit Begabung gleichsetzt, dass es die Bedeutung der Kunst, der Empfindsamkeit, des Spiels wie der Kreativität unterschätzt und in übertriebenem Maß auf Ordnung, Regeln, Bürokratie und Pünktlichkeit besteht.
    Im weitesten Sinne hat die Boheme der Suche nach einer alternativen Lebensweise Legitimität verliehen, sie hat eine Subkultur hervorgebracht, in der die vom bürgerlichen Mainstream vernachlässigten oder ignorierten Werte zu ihrem Recht kommen.
    Wie das Christentum, dessen Ersatz die Boheme in gewisser Hinsicht ist — entstand sie doch im 19.Jahrhundert, zu einer Zeit also, da die Religion allmählich ihre bindende Kraft verlor -, hat die Boheme geistigen anstelle von materiellen Wertmaßstäben das Wort geredet. Ähnlich wie die christlichen Klöster wurden die Ateliers und Cafés, die Quartiers und die Künstlerkolonien der Boheme zum Refugium für die, denen an bürgerlichen Gratifikationen wenig gelegen ist.
    Zudem lehrt das Vorbild herausragender Bohémiens gerade diejenigen, denen das herrschende Statussystem am meisten zusetzt, dass Abweichlertum eine lange und illustre Geschichte hat — von den Pariser Dichtern des 19. Jahrhunderts über die spielerische Subversion der Dada-Bewegung bis hin zu den provençalischen Picknicks der Surrealisten.
    Ein Lebensentwurf, der auf den ersten Blick so abwegig wie absurd erscheint, entpuppt sich, dank einiger begnadeter Bohémiens, als durchaus seriös und lobenswert. Den Rollenvorbildern des Juristen, Unternehmers, Wissenschaftlers hat die Boheme die des Dichters, des Reisenden, des Essayisten hinzugefügt. Sie hat uns nahe gebracht, dass auch diese Figuren, bei aller Exzentrizität, allen materiellen Defiziten, ihrerseits Anerkennung verdienen.
     

 
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    Der erste Schritt zu einem souveränen Umgang mit der Statusangst liegt sehr wahrscheinlich in der Erkenntnis, dass Status von verschiedenster Seite zu haben ist: von Industriellen wie von der Boheme, der Familie wie den Philosophen - dass wir unser Publikum gewissermaßen frei wählen können.
    Wie belastend unsere Sorgen um Status auch sein mögen, ein erfülltes Leben ist ohne sie kaum denkbar, denn die Angst zu scheitern und uns vor anderen zu blamieren, geht notwendig mit Ambitionen einher, mit dem Streben nach bestimmten Zielen und mit der Achtung vor anderen. Statusangst ist der Preis, den wir dafür bezahlen, dass wir gesellschaftlich zwischen Erfolg und Erfolglosigkeit unterscheiden.
    Doch wenn unser Bedürfnis nach Status auch unabänderlich sein mag, so steht uns doch frei, wie und wo wir dieses Bedürfnis befriedigen. Wir können sicherstellen, dass sich unsere Angst vor Blamage auf eine Gruppierung richtet, deren Werturteile wir respektieren und teilen. Statusängste sind, so gesehen, nur dann problematisch, wenn sie um ein Wertesystem kreisen, dem wir uns aus Angst und übertriebenem Gehorsam unterwerfen; weil man uns eingebläut hat, dass es natur- oder
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