Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst
Autoren: Alain de Botton
Vom Netzwerk:
Kalk...$2,40, das war teuer
    Rosshaar ...$0,31,
    mehr, als ich brauchte
    Eiserne Kamineinfassung ..$0,15
    Nägel...$3,90
    Türangeln und Schrauben...$0,14
    Türklinke...$0,10
    Kreide...§0,01
    Fuhrlohn...$1,40,
    das meiste habe ich auf dem Rücken getragen
     
    Insgesamt...$28,12
     
    »Fast jeder Luxus und viele der so genannten Bequemlichkeiten des Lebens sind nicht nur entbehrlich, sondern ein ausgesprochenes Hindernis für die Höherentwicklung der Menschheit«, schrieb Thoreau, und um die gängige Identifikation von Besitz mit Ehrenhaftigkeit zu unterlaufen, fügte er hinzu: »Der Reichtum eines Menschen steigt mit der Anzahl der Dinge, die er nicht braucht.«
    Thoreau wollte unsere Ansichten dazu korrigieren, was bescheidene Mitteln über einen Menschen aussage. Nicht immer machten sie einen, wie aus bürgerlicher Sicht gern unterstellt, zum Verlierer im Lebenswettlauf. Dass einer kein Geld hatte, konnte ebenso gut bedeuten, dass er es vorzog, sich anderem zu widmen als dem Geschäft, und in der Folge anderes erwarb als Geld. Thoreau sprach lieber von einem »einfachen« statt »ärmlichen« Leben, um zu signalisieren, dass es um eine bewusste Entscheidung und nicht eine Zwangslage gehe, und die reichen Kaufleute von Boston erinnerte er daran, dass so vornehme Geister immerhin wie die »chinesischen, hinduistischen, persischen und griechischen Philosophen« die Einfachheit gewählt hätten. Der Tenor der Botschaft des Pioniers vom Walden-See an die prosperierende, zunehmend industrialisierte amerikanische Gesellschaft bleibt der fast aller Bohémiens vor und nach ihm: »Man braucht kein Geld, um zu kaufen, wessen die Seele bedarf.«
     

 
3
     
    Bohémiens hatten längst die Erfahrung gemacht, dass die Fähigkeit, sich gegen den kulturellen Mainstream zu behaupten, sehr von den Wertmaßstäben der eigenen unmittelbaren Umgebung abhängt, von den Leuten, mit denen man umgeht, von den Dingen, die man hört und liest.
    Bohémiens erkannten zudem, dass unser Seelenfriede und unser Weltbild sehr leicht ins Wanken geraten; da reicht unter Umständen schon ein fünfminütiges Gespräch mit Bekannten, die uns vielleicht nur indirekt spüren lassen, dass sie Geld und öffentliches Ansehen für durchaus erstrebenswert halten — oder das Blättern in einer Zeitschrift, die die Großtaten bürgerlicher Helden preist und damit alternative Lebensweisen entwertet.
    Infolgedessen haben Bohémiens immer sehr darauf geachtet, mit wem sie ihre Zeit verbringen. Manche haben sich den verderblichen Einflüssen der Gesellschaft so radikal entzogen wie Thoreau. Andere haben sich gezielt mit Gleichgesinnten zusammengetan und sich dem sozialen Umfeld verweigert, wie es sich tendenziell eben ergibt, wenn wir Kontakt zu denen pflegen, mit denen wir bereits in der Familie, in der Schule, im Beruf zusammengeworfen werden.
     

    Titelseite der Erstausgabe von Waiden, 1854
     
    In den Großstädten dieser Welt sammeln sich die Bohémiens gern in den Vierteln, die einen täglichen Umgang mit echten und nicht statusbesessenen Freunden sicherstellen. Die Geschichte der Boheme kennt viele solche Viertel, die zum Schauplatz berühmter Künstlerfreundschaften wurden: Montparnasse, Bloomsbury, Chelsea, Greenwich Village, Venice Beach.
     

 
4
     
    Die Boheme hat auch den Begriff des Scheiterns neu definiert. Der bürgerlichen Ideologie zufolge wirft das geschäftliche und auch das künstlerische Scheitern ein schlechtes Licht auf die Person selbst, da doch angenommen wird, die Gesellschaft beurteile und belohne gerecht.
    Bohémiens lehnen diese abwertende Interpretation des Scheiterns ab und verweisen darauf, wie sehr sich die Welt häufig von Dummheit und Vorurteil leiten lässt. So wie die Menschen nun einmal seien, argumentieren sie, werden die Erfolgreichen selten die Klügsten und die Besten sein, sondern diejenigen reüssieren, welche die fragwürdigen Vorgaben ihrer Mitmenschen am geschmeidigsten bedienen; das untrüglichste Zeichen für die ethischen und geistigen Defizite eines Menschen sei womöglich kommerzieller Erfolg.
    Eine solche Sicht mag erklären, warum sich so viele Bohémiens des 19. Jahrhunderts für Figuren aus Politik und Kunst erwärmten, deren Karrieren nach bürgerlichen Begriffen nur als gescheitert betrachtet werden konnten. Der gefeiertste unter ihnen war der unbedeutende englische Dichter Thomas Chatterton, der 1770 im Alter von achtzehn Jahren aus Verzweiflung über seine Armut und die Ablehnung seiner Kunst den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher