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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst
Autoren: Alain de Botton
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Tätigkeit für geisttötend außer der des Dichters und, noch weniger naheliegend, des »Kriegers«. Als Marcel Duchamp 1915 New York besuchte, beschrieb er Greenwich Village als »wahre Boheme«, denn dort wimmele es von »Leuten, die nichts tun«. Ein halbes Jahrhundert später spottete Jack Kerouac bei einem Auftritt in einer Pianobar an der Westküste über die »Pendler mit ihren engen Kragen, die den Fünfuhrachtundvierzigzug in Millbrae oder San Carlos kriegen müssen, um nach San Francisco zur Arbeit zu kommen«, und lobte stattdessen die freien Geister, die Herumtreiber, Dichter, Beatniks und Künstler, die lange schliefen und ihre Arbeitskluft verbrannten, um »Söhne der Landstraße zu werden, die Güterzüge fahren zu sehen, die Weite des Himmels zu spüren und den Ur-Atem Amerikas«.
     

    Unbekannter Künstler (früher Géricault zugeschrieben): Bildnis eines Künstlers im Atelier, um 1820

     
    Die Bohémiens bestritten zwar nicht grundsätzlich, dass man, theoretisch, ein reiches Innenleben haben und gleichzeitig erfolgreicher Kanzlei- oder Firmenchef sein könne, aber viele gingen doch von einer Inkompatibilität mit der Praxis aus. Im Vorwort zu seinem Buch Über die Liebe schrieb Stendhal, er habe versucht, sich für ein breites Publikum verständlich auszudrücken, aber er könne die »Tauben nicht hörend und die Blinden nicht sehend machen«. »Finanzleute, grobe Genussmenschen, die jährlich hunderttausend Franken verdienen, mögen das aufgeschlagene Buch nur schleunig wieder zuklappen, besonders wenn es sich um Bankiers, Fabrikanten und andere ehrbare Geschäftsleute, das heißt bloße nüchterne Verstandesmenschen handelt. ... Das tätige, arbeitsreiche, achtenswerte und positive Leben eines Geheimrats, eines Textilfabrikanten oder eines schlauen Bankiers zieht seinen Lohn aus dem Reichtum, nicht aus zarten Empfindungen. Nach und nach verknöchern die Herzen dieser Herren. Menschen, die wöchentlich 2000 Arbeiter ablohnen, verschwenden ihre Zeit niemals an dergleichen; ihr Sinn ist auf das Praktische und Nützliche gerichtet.« Stendhal vermutete, sein Buch werde eher den Nachdenklichen und Tagträumern gefallen, den Liebhabern von Mozartopern, die sich, kaum hätten sie ein hübsches Gesicht in der Menge gesehen, stundenlang bittersüßen Träumen hingeben könnten.
     

    Gustave Courbet, Selbstbildnis (Mann mit Pfeife), um 1848/49
     
    Die Überzeugung, dass Geld und eine praktische Betätigung zwangsläufig die Seele verdürben, die Fähigkeit zu »zarten Empfindungen«, zieht sich durch die ganze Geschichte der Boheme. Noch hundertvierzig Jahre nach Stendhals Klage kehrt sie nicht weniger beredt in Bukowskis Gedicht »Was für die Schlepper, die Nonnen, die Ladengehilfen und dich« (1965) wieder, in dem das Leben reicher Geschäftsleute beschworen wird:
     
    ...mit schlechtem Atem und dicken Füßen, Männer die wie Frösche aussehn, Hyänen, Männer, die laufen als war die Musik nie erfunden worden, Männer die denken, dass es schlau ist zu heuern und zu feuern und seinen Schnitt zu machen, Männer mit teuren Weibern, die sie besitzen wie zwanzig Hektar Land, die man pflügt, oder rausputzt oder einmauert...
    ... Männer, die vor zehn Meter breiten Fenstern stehn und doch nichts sehn, Männer mit Luxusjachten, die die Welt umsegeln und doch nie aus sich rauskommen, Männer wie Schleimtiere, Männer wie Aale, Männer wie Nacktschnecken - und nicht mal das.
     
    So wenig Ehre Geld in Bohemekreisen macht, verschlagen Besitztümer. Der Bohémien sieht in Jachten und Landhäusern nichts als Symbole des Hochmuts und der Leichtfertigkeit. Wer im Ansehen steigen will, tut besser daran, sich durch geistreiche Konversation auszuzeichnen oder einen Band intelligenter und gefühlvoller Gedichte vorzulegen.
    Im Juli 1845 zog einer der damals bekanntesten Bohémiens Amerikas, Henry Thoreau, in eine Blockhütte am Walden-See nahe der Stadt Concord, Massachusetts, die er mit eigenen Händen errichtet hatte. Ziel war der Versuch, ein äußerlich karges und doch innerlich reiches Leben zu führen. Zum Beweis dessen, wie wenig man zum Auskommen brauchte, wenn man aufhörte, andere mit seinem Besitz beeindrucken zu wollen, rechnete Thoreau seinen Lesern die Kosten vor, die der Bau seiner Blockhütte verursacht hatte:
     
    Bretter...$8,03 meist Schuppenbretter
    Ausschuss-Schindeln für Dach und Wände...$4,00
    Latten...$1,25
    2 gebrauchte Fenster mit Glas...$2,43
    1000 alte Ziegel...$4,00
    2 Fass
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