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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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konnte,war das Geld zur Zeit meines Grenzübertritts wohl ausgegangen. Aber schließlich hatten wir ja eine Einladung, die der Grund für die Genehmigung war. Dem klammen Staat war also bewusst, dass für Übernachtung und Verpflegung gesorgt sein würde. Was sollten wir hier auch sonst tun, als bei unseren Verwandten zu sitzen und uns darüber zu freuen, dass wir beisammen sein konnten.
    Es war ausdrücklich und streng verboten, Devisen auszuführen in das Land, das selbst welche hatte. Bloß gut, dass der Westberliner Senat für jeden Ostbesucher zu dieser Zeit einmal jährlich 30 DM spendierte. Schließlich war ich auch nicht unvorbereitet ins Einkaufsparadies gereist, sondern hatte meine Reisekasse körpernah untergebracht und Glück gehabt, dass der Grenzer keine Lust auf Leibesvisitation hatte.
    So verfügte ich bei Einreise über 150 DM und hoffte noch auf eine Zuwendung meiner Großmutter, die ich erst am nächsten Morgen sehen würde. Wofür ich mein Geld ausgeben würde, wusste ich noch gar nicht. Erst einmal abwarten und sehen, was es alles zu kaufen gab, war eher der verkehrte Ansatz, wie sich später herausstellte.
    Wir waren inzwischen an einem Platz angekommen, in den von allen Seiten Straßen einmündeten, die ihrerseits voller Möglichkeiten waren, bei Tag und Nacht Geld loszuwerden. Hier überquerten wir den Kurfürstendamm, um in entgegengesetzter Richtung zurückzugehen.
    Es war jetzt nach zwei Uhr morgens. Doch ich spürte keinerlei Müdigkeit. Auch Klaus und Rita hielten sich tapfer. Ich belohnte sie mit kindlichem Staunen und sie waren sichtlich stolz auf ihre Heimatstadt.
    In einem Haus, das hundert Biere im Angebot hatte und mich mit dieser Vielfalt schwer überforderte, schlossen wir unseren Rundgang ab und verschafften uns durch das Probieren von drei Sorten die nötige Bettschwere.
    Schließlich fiel ich nach einer kurzen Autofahrt zu meinen Gastgebern dann doch vollkommen erledigt ins Bett. Im dunklen Zimmer zogen sie alle noch mal an mir vorbei: Der Grenzer in seinem grauen Loch, der Kreuzberger Wirt in seiner belaubten Kneipe, die Siegessäule im Scheinwerferlicht, Glasvitrinen mit extravaganten Schuhen, bunte Inschriften und glitzernde Reklame.
    Ich war vom Grauen ins Bunte gereist.
    Ein paar Stunden später weckte mich eine Amsel mit ihrem Gesang. Noch mit geschlossenen Augen fiel mir tröpfchenweise ein, wo ich war und was das bedeutete. Mit einem seeligen Lächeln öffnete ich die Augen.
    Eine Stunde später saß ich bei meiner Oma auf der Couch.
    Die alte Dame war glücklich und gerührt zugleich, mich endlich bei sich zu haben. Wir saßen in dem kleinen Wohnzimmer, sie auf ihrem bequemen Sessel mit den sechs Kissen im Rücken, und ich erzählte ihr in aller Ausführlichkeit die Geschehnisse des vergangenen Abends. Dann sah ich mich ein bisschen bei ihr um. Sie bewohnte ein Zimmer mit Bad, Küche und Balkon. Alles war einfach und klein, bis auf die Fensterscheiben. Die waren groß und dreifach verglast. Als ich auf den Balkon trat, um mir die Siedlung von oben anzusehen, merkte ich auch gleich, warum. Ein Flugzeug, das so nah war, dass ich beinahe die Krawatte des Kapitäns erkennen konnte, donnerte über das Haus hinweg zum nahen Flughafen. Oma erklärte mir die Nutzlosigkeit des Balkons, was ich auf der Stelle einsah.
    Dann erkundigte sie sich nach der Familie, meiner Arbeit und nach meinen Plänen für die nächsten Tage. Sie wusste natürlich, dass ich so viel wie möglich rein in die Stadt wollte. Deshalb sagte sie: „Du weißt ja, dass es für mich zu anstrengend ist, mit dir loszugehen. Aber es ist ja ein Glück, dass Rita und Klaus Zeit und Lust haben, dir alles zu zeigen.“ Dannsollte ich ihr ihre Handtasche bringen, was so viel wie Bescherung bedeutete. Als sie in der Tasche nach dem Portemonnaie suchte, fiel mein Blick auf ihre Hände. Die Gelenke ihrer Finger waren stark angeschwollen und es fiel ihr schwer, die Geldbörse zu öffnen. Meine Oma litt seit Jahren an Rheuma und starken Schmerzen. Die vielen Tabletten hatten die nächsten Krankheiten befördert und nun, nahe der Achtzig, war aus der einst so vitalen, aktiven Frau ein schmales, kleines Mütterchen geworden, das nur mit Mühe den kleinen Haushalt bewältigte.
    Es wurde mir ein bisschen schwer ums Herz, als sie mir mit zittriger Hand großzügig einige Scheine entgegenhielt. Sie aber lächelte glücklich darüber, dass sie das überhaupt konnte. Es war ihr eine große Freude, mit dem, was sie hier an Rente
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