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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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zunehmend aus meinem Bewusstsein verflüchtigt hatte.
    Rita riss mich mit einigen Erklärungen zur Umgebung aus meinen Gedanken. Doch es war ihr nicht entgangen, in welcher Richtung mein Blick festhing. „Dahin musst du erst übermorgen wieder zurück“, sagte sie und legte einen Arm um meine Schulter. Ich nickte, klärte sie aber nicht über das Missverständnis auf.
    Ich war vom Vertrauten ins Fremde gereist.
    Nun setzten wir uns zum Shoppen in Bewegung. „Was willst du dir denn überhaupt kaufen?“, war Ritas schwierige Frage inmitten der Warenflut. Ich hatte diese Frage kommen sehen und keine Ahnung. „Hm, was zum Anziehen, Schuhe, weiß nicht, irgendwas auch für Paul.“ Na, damit kann man ja richtig was anfangen, sagte mir Ritas Blick. Klaus hatte inzwischen angekündigt, dass er die „Damen“ dann mal eine Weile allein lassen wolle, um ein paar Erledigungen zu machen. Wir würden uns dann in drei Stunden hier am Brunnen wiedertreffen.
    Und auf ging‘s! Drei Stunden Konsumterror, drei Stunden Waren, Waren, Waren. Wir rannten in kleine und große Geschäfte, verließen das Gebäude, überquerten die Straße und tauchten in neue Läden und Warenhäuser ein. Rolltreppe rauf, Rolltreppe runter. „Wie gefällt dir das?“
    „Sieh mal, die Farbe würde dir doch ganz gut stehen.“
    „Ist das deine Größe?“
    „Die gibt es dort drüben auch so ähnlich, aber billiger.“
    „Das ist ein Modell der letzten Saison, deshalb besonders günstig.“
    „Wo sind denn hier die Kabinen?“
    „Neunzehn, neunundfünfzig, neunundneunzig, warum machen die so bekloppte Preise?“ Regale, Kleiderständer lang gezogen oder als Karussell. Alles voller Klamotten.
    „Kann ich Ihnen helfen?“
    Nein, bloß das nicht.
    Blusen, Jacken, Jeans, Pullis kreuzten meine Wege und wurden an- und wieder ausgezogen. Oder doch etwas für den Haushalt? Da waren doch vorhin diese großen Kaffeetassen in den leuchtenden Farben, oder Kosmetik, mal ein extravagantes Parfüm? Vielleicht lieber etwas, das länger nützlich war, etwas technisch Funktionelles. Etwas, das nicht bei der ersten Benutzung auseinanderfällt. Suchen, ausprobieren, ablehnen. Neuer Anlauf.
    Drei Stunden Kohlenschaufeln wären bestimmt nicht anstrengender gewesen.
    Ich war vom Leeren ins Volle gereist.
    Als ich nach über zwei Stunden immer noch nichts gekauft hatte, bekam ich eine Konsum-Sinnkrise. Ich war der Fülle einfach nicht gewachsen. Immer, wenn ich mich fast entschieden hatte, sah ich ein anderes Stück ähnlicher Natur, vielleicht ein bisschen billiger oder ein bisschen hübscher, auf jeden Fall anders.
    Langsam befürchtete ich, dass meine Oma enttäuscht sein würde, wenn ich ohne Beute zurückkäme. Sie hatte so freudig ihr Portemonnaie geöffnet und ihre Enkelin schaffte es nicht, die Scheine wieder loszuwerden.
    Rita entschied, dass wir eine Pause brauchten, und führte mich in die Filiale eines Kaffeehändlers. Hier konnte man nicht nur Kaffee kaufen und trinken, hier kamen auch einige Waren zum Verkauf, die nichts mit Kaffee zu tun hatten. Undwie ich so dastand und entkräftet an meiner Tasse nippte, passierte es. Ein potenzielles Kaufobjekt wartete in der Auslage und zog meinen Blick auf sich. Es handelte sich um ein Paar sehr farbenfrohe Badehandtücher in einer praktischen Plastiktasche mit Druckknopf, das ich auf der Stelle kaufte und welches 39,99 DM kostete. Ein Vermögen, wie meine Oma später auch anmerkte. Doch ich verteidigte meinen Fang und ließ sie auch wissen, was ich in den zurückliegenden Stunden durchgemacht hatte.
    Später, beim Abendessen, musste ich bis ins Kleinste erzählen, wo ich überall gewesen war. Doch auch wenn ich es nach Kräften versuchte, mich genau zu erinnern, brachte ich eine ganze Menge durcheinander. Oma war trotzdem glücklich und ermunterte mich, das Begonnene am nächsten Tag fortzuführen.
    Der letzte Tag meiner Reise in den Westen führte mich ganz in die Nähe meiner Heimat. Klaus fand es wichtig, dass ich die Berliner Mauer auch mal aus der Nähe zu sehen bekam. Dazu fuhren wir zum Anhalter Bahnhof und gingen noch ein Stück zu Fuß. Hier war es ziemlich unbelebt und die Wohnhäuser eher sanierungsbedürftig. Insgesamt eine vernachlässigte Gegend.
    Klaus und ich gingen auf ein besonders bunt bespraytes Mauerstück zu. Es faszinierte mich, ganz heranzugehen und den rauen Beton anzufassen, was auf der anderen Seite den Schießbefehl ausgelöst hätte. Die Mauer war etwa vier Meter hoch und über und über
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