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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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bekam, die Familie zu unterstützen. Der maroden Wirtschaftslage der DDR kam es entgegen, wenn ihre Arbeiter und Bauern nach Eintritt des Rentenalters das Land verließen und sich auf diese Weise die ohnehin schmale Rentenzahlung einsparen ließ.
    Ich bedankte mich und rüstete bald zum Aufbruch. Ein wenig plagte mich schon das Gewissen, sie hier zurückzulassen, aber mein Hunger nach der Welt da draußen war riesig.
    Als sie meinen Zwiespalt bemerkte, wurde sie energisch: „Nun geh man los. Die beiden warten bestimmt schon. Wir sehen uns ja heute Abend wieder und morgen feiern wir dann gemeinsam Geburtstag.“ Und als ich noch zögerte: „Ich hätte es doch genauso gemacht. Lass dir alles zeigen: den Tauentzien, das Europacenter, das KaDeWe, die Wilmersdorfer. Und wenn du wieder da bist, zeigst du mir, was du dir Schönes gekauft hast, ja?“
    Bevor ich noch zu heulen anfing, beugte ich mich schnell zu ihr herunter, drückte sie fest, verstaute das Geld und machte mich auf den Weg.
    Rita und Klaus erwarteten mich vor dem Hauseingang. „Heute ist Doppeldecker angesagt“, kündigte Klaus an. „Da können wir alle schön entspannt den Verkehr an uns vorbeiziehen lassen und du kannst dir alles von oben ansehen.“ Ich war einverstanden und los ging es zur Bushaltestelle. Der große gelbe doppelstöckige Bus schaffte es natürlich auch gleich wieder, mich in Erstaunen zu versetzen, schon allein wegen der Treppe, die auf die obere Etage führte. Und er war so leise.
    Unwillkürlich dachte ich an seine lauten Verwandten auf der anderen Seite, mit denen ich zwei Jahre lang täglich zu meiner Ausbildungsstätte unterwegs gewesen war. Eine Strecke dauerte damals ungefähr eine Stunde. Die Strecke führte durch einige kleinere Orte, dann ging es vorbei an der Berliner Mauer, die gut bewacht und beleuchtet in einem Sumpfgebiet stand. An diesem Abschnitt raste der Bus über das schlechte Pflaster, sodass man Angst haben musste, bei jedem Loch in der Straße mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Dann folgten Haltestellen in der Nähe von Russenkasernen. Während die einfachen Soldaten so gut wie nie Ausgang hatten, wurde erzählt, dass die Offiziere hier ein schönes Leben hatten. Ihre Gattinnen stiegen dann morgens zu uns in den Bus, um in der nächstgrößeren Stadt einzukaufen. So konnten wir auch im Halbschlaf anhand des Duftgemischs aus Knoblauch und Maiglöckchenparfüm erkennen, an welcher Haltestelle wir gerade waren.
    „Träumst du?“, hörte ich Ritas Stimme. „Oh, ich war kurz zu Hause“, antwortete ich ihr. „Hast du deinen Reisepass dabei?“, fragte sie jetzt. „Ja“, ich holte ihn aus meiner Handtasche und zeigte ihn beim Einsteigen aufgeklappt dem Busfahrer. Der nickte und brummelte etwas, das ich nicht verstand. Wir Ossis konnten in ganz Westberlin umsonst die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Man zeigte seinen Pass und das war’s.
    Die Sonne schien auf die Stadt und präsentierte sie bei Tageslicht nicht minder beeindruckend als in der Nacht zuvor. Rita hatte schnell Plätze oben und ganz vorn belagert, sodass wir quasi über dem Fahrer saßen. Das war wirklich ein interessantes Gefühl. Die Aussicht von hier war fantastisch und wenn der Bus um die Kurve fuhr, konnte ich aus meiner Perspektive kaum glauben, dass er das hinbekam, ohne die Bäume oder andere Fahrzeuge zu schrammen. Unsere Fahrt führte zuerst durch Wohngebiete, in denen viele Ausländer herumliefen. „Es wohnen viele Türken hier“, erklärte mir Klaus, „aber auch Araber, Jugoslawen und Griechen.“ Hier gab es nur wenige Geschäfte, aber diese hatten riesige Auslagen mit Obst und Gemüse, die ich im Vorbeifahren sehen konnte. Ein exotischer Anblick für mich.
    Manche Früchte sah ich zum ersten Mal und fragte Rita, wie sie hießen. „Das sind Auberginen“, „Eisbergsalat“, „die nennt man Papaya“, „die violetten sind auch Kartoffeln, nur eben eine andere Sorte ...“ So ging es eine Weile. Dann bog der Bus in eine breite Straße ein. Sie lag etwas erhöht und ich konnte von Weitem den Funkturm sehen und das futuristische Gebäude des Internationalen Congress Centers.
    Wenig später hielten wir an einem Einkaufszentrum. Es war ein dumpfes Dröhnen zu hören und ich sah, wie ein Flugzeug über uns hinwegflog, das soeben gestartet sein musste. Auf der anderen Straßenseite kamen eine Menge Leute aus einem U-Bahnhof und überquerten die Straße, um unseren Bus zu erreichen. Alles war laut und quirlig. Der Bus fuhr nun
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