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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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darauf, endlich loszufahren, da ich rein gar nichts mehr mit mir anzufangen weiß.
    * * *
    Die Karriere hatte Mike vom Rhein an die Spree gespült und damit in meine Nähe. Neben dem Alltag im Büro entdeckten wir nach und nach viele Gemeinsamkeiten. Wir waren noch nie in Griechenland und mochten beide keine Katzen. Neben diesen fundamentalen gab es noch eine Reihe kleinerer Dinge, für die wir beide Interesse hatten. Wir besuchten gern Museen, liebten große Städte und nahmen uns immer wieder vor, mehr vom Theater zu verstehen.
    Ich verliebte mich jeden Tag ein bisschen mehr. In seine feine zurückhaltende Art, in seinen Humor, seine Augen, ja sogar in die feinen schwarzen Haare auf den Unterarmen, die aus den Manschetten seiner weißen Hemden hervorlugten.
    Es vergingen nur wenige Wochen, dann waren wir ein Paar.
    * * *
    Nach einer guten Stunde Autofahrt, in der wir Berlin einmal durchqueren, erreichen wir unser Ziel. Das Gericht ist ein Bau des neunzehnten Jahrhunderts und es strahlt die ihm zustehende Würde und Seriosität aus. Es steht an einer belebten Straßenecke wie eine graue Trutzburg jener Zeit, in der noch mit dem Pferdewagen vorgefahren wurde. An den Seiten des Gebäudes ragen Türmchen aus dem Dach empor. Ein spitzer, reich verzierter Giebel überkront das Eingangsportal. In der Etage über der mächtigen Pforte lassen repräsentative Rundbogenfenster den hinter ihnen liegenden Festsaal vermuten.
    Wir parken und ich steige zögernd aus. Während ich angesichts der Schönheit und des Charmes alter Gebäude oft ins Schwärmen gerate, kann mich heute der Anblick des Hauses nicht von seinem Inhalt ablenken. Wir gehen langsam über die Straße. Durch meinen hektischen Aufbruch haben wir noch mehr als eine halbe Stunde Zeit bis zum Beginn der Verhandlung. So bleiben wir noch ein wenig im Sonnenschein vor dem Eingang stehen. Ich beobachte die tanzenden Schatten der hohen Laubbäume, die die Sonne auf die Wände des Gemäuers wirft.
    Meine Gedanken gelten allein dem Innern des Gebäudes, genauer gesagt Raum 234, in den wir geladen sind. Mir kommt wieder die albtraumhafte Vorstellung in den Sinn, dass sich eine Schulklasse zu Bildungszwecken genau heute hier einfindet und der öffentlichen Verhandlung zusieht. Oder, noch fürchterlicher, frühere Kollegen oder Freunde könnten den Weg hierher gefunden haben. Mike hatte mir den Hinweis nicht erspart, dass diese Art Verhandlungen immer öffentlich sind und es niemandem verwehrt werden kann, daran teilzunehmen. Ich halte es in der Tat für wahrscheinlich, dass die Gegenseite etwas Verstärkung mitgebracht hat. Die Vorstellung allein wirkt allerdings bis in den Verdauungstrakt, woraufhin ich mir alle Mühe gebe, sie zu verdrängen.
    „Können wir?“, Mike sieht mich an und nickt mir aufmunternd zu. „Ja ... klar, gut“, antworte ich fahrig. Er öffnet die mächtige Holztür und wir betreten die weite, etwas düstere Eingangshalle. Von dort geht es nach rechts und links zu den weiteren Räumen des Erdgeschosses und geradezu hinauf ins Treppenhaus. Die geschwungene Holztreppe führt in die oberen Stockwerke und somit auch zu Raum 234. Als wir die ersten Stufen betreten, frage ich mich, ob die Gegenpartei schon hier ist. Sitzen sie vielleicht schon im Verhandlungssaal oder warten sie noch vor der Tür? Oder sind wir die Ersten? Ich lausche angestrengt, doch ist von unten nichts zu hören.
    Noch eine Viertelstunde. Meine Hände sind aus Eis und mein Herz rast. Von Stufe zu Stufe fühle ich mich beklommener. Auf den letzten Stufen muss ich mich zwingen, die Füße zu heben, so bleischwer und unsicher sind sie. Die Koordination von Knie- und Fußgelenken funktioniert einfach nicht wie sonst und es bedarf meiner ganzen Anstrengung, bis zum Treppenabsatz heraufzusteigen. Ich hoffe sehr, dass Mike dies nicht mitbekommt, dass er sich jetzt nicht zu mir umdreht und mich anspricht. Denn ich hatte mir eigentlich zugetraut, die Sache zwar ernst, doch mit einer gewissen Lässigkeit durchzustehen. Schließlich bin ich die Klägerin.
    Endlich oben angelangt, biegen wir nach links ab in einen menschenleeren Flur. Ich hebe vorsichtig den Blick. Aber niemand steht vor der Tür mit der Nummer 234, niemand ist darin, die Tür ist verschlossen. An einem Aushang an der Wand können wir lesen, was heute hier verhandelt werden soll. Wir sind die Ersten. Mike studiert geschäftsmäßig die weiteren Termine des Aushangs, während ich mich ermattet auf einen der Stühle vor dem Raum
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