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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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mit Graffiti bemalt. Für jemanden, der sich fragte, in welche Gegend er denn hier geraten war, waren Schilder aufgestellt mit der Aufschrift „Ende des amerikanischen Sektors – Das angrenzende Gebiet gehört zu Ostberlin“ und darunter das Ganze in türkischer Sprache.
    Weil die Mauer zu hoch zum Drüberschauen war, gab es an manchen Stellen hölzerne Aussichtstürme, von denen ausman in den Osten und über die Grenzanlagen sehen konnte. Die Betonmauern zu beiden Seiten schlossen einen breiten Landstreifen ein, der durch Stacheldraht, geharkten Sand und eine weitere innere Mauer unterteilt war. In regelmäßigen Abständen standen Wachtürme und auf einem Asphaltstreifen fuhr ein Trabant der NVA in grüner Tarnfarbe Patrouille. Hohe Lampen bildeten eine endlose Kette.
    Ich stand auf der Aussichtsplattform und starrte mit kaltem Herzen in Richtung Osten. Klaus hatte zuerst neben mir gestanden und versucht, mir Details und Funktionen der Absperrungen näher zu erläutern. Aber ich hörte kaum zu. Das Bild fesselte mich auf bizarre Weise. Aber das war nicht das wohlige Gruseln wie auf der Achterbahn oder bei einem unheimlichen Film. Nein, hier stand als grauenhafte Realität ein von Waffen strotzender Zaun, um das eigene Volk im sozialistischen Gehege zu halten.
    „Ich warte im Auto“, sagte Klaus sensibel, als er die Veränderung meiner Stimmung bemerkte. Ich hörte seine Schritte, die sich langsam knirschend auf dem sandigen Boden entfernten.
    Ich starrte noch lange auf diese brutale Szenerie. Ein System, das Angst davor hatte, ihm könnten die Arbeiter und Bauern abhauen, die es doch am Leben erhalten sollten. Und ich? Unterstützte ich das System durch mein leichtfertiges Arrangement mit der Stasi nicht noch? Diese Schlussfolgerung tat hier fast körperlich weh.
    Abrupt drehte ich mich um, lief zurück und stieg ins Auto. Ich schlug die Tür zu und bat Klaus, nur schnell loszufahren. Ich wollte wieder dorthin, wo alles schön aussah, wo die glitzernden bunten Dinge waren, wo die Schaufenster ein besseres Leben verhießen. Ich scheuchte mein schlechtes Gewissen in seinen Käfig. Es sollte mich in Ruhe lassen.
    Wenig später waren die Gespenster davongeflogen.
    * * *
    Wieder zu Hause angekommen, war ich der Star. Alle wollten hören, wie es im Westen gewesen war. Mit Paul, Gerry und Sonja veranstalteten wir einen „West-Abend“, an dem wir meine Rückkehr feierten und ich ihnen auf Wunsch die Ohren vollplapperte.
    Auch andere Kollegen, Freunde, Nachbarn und Verwandte stellten immer ähnliche Fragen:
    Sieht es so aus wie im Fernsehen?
    Riecht es überall wie im Intershop?
    Sind alle im Westen eingebildet?
    Hat jeder ein Auto?
    Ich bemühte mich, alles so genau wie möglich zu erzählen, und erkannte bald, dass der Übertritt vom Warenmangel in die Warenüberflutung harte Arbeit in der Berichterstattung bedeutete.
    Mitgebracht hatte ich einen Eisbergsalat, eine Flasche Campari, einen kleinen Plastikmülleimer für das Badezimmer, eine Jeans für Paul, eine Bluse, ein Paar Ohrclips und die Luxus-Handtücher. Ich muss nicht betonen, dass mich jeder meiner Gesprächspartner, denen ich von diesem Sortiment erzählte, für bekloppt erklärte und besser wusste, was mitzubringen sich gelohnt hätte.
    Zurück in der anderen Hälfte der Stadt mit all ihren Gebrechen fühlte ich mich überraschenderweise sehr heimatlich. Ich war wieder zu Hause in der gewohnten Umgebung, ich spürte die Vertrautheit und Nähe zu meinen Freunden und meiner Familie und erlebte dankbar, wie viel das wert war.
    Ein paar Tage, nachdem ich von meiner Traumreise zurückgekehrt war, meldete sich Michas Telefonistin ernüchternd real. Es gab einen neuen Ort und einen neuen Termin. Ein Spitzel war heimgekehrt.
    Micha öffnete mir die Tür. Nun waren wir in Pankow in einer wirklich konspirativen Wohnung angekommen. In derNähe des zentralen Kirchplatzes war es schwierig gewesen, einen Parkplatz zu finden. Die Wohnung lag im vierten Stock eines Altbaus, der von außen einigermaßen gepflegt aussah. Hier wohnte in Wirklichkeit niemand. Die Einrichtung war so nüchtern und geschmacklos, wie sie nur Männer wie Micha hinkriegen konnten. Die Mittel und Möglichkeiten zum Kauf der Möbel waren da gewesen. Danach war alles irgendwie hereingestellt worden und gut. Im Wohnzimmer war es dunkel, weil das Fenster zum engen Hof hinausging. Etwas Licht kam von einer mit gelblichem Stoff bezogenen Deckenlampe. In der Schrankwand stand als einziger Gegenstand ein
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