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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Autoren: Michael Streck
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Hamburg, von Hamburg nach Bonn und von Bonn nach Hamburg mitgereist sind über die Jahre. Umzüge sind die einmalige Chance, diesen ganzen Unrat zu entsorgen. Ein für alle Mal. Da war etwa dieser grauenhafte Zinnbecher, den die Frau circa um die Jahrhundertwende bei einer Weihnachtsfeier aus der Sperrmülltrommel gezogen hatte. Oder die Laterne, in Form einer Ente oder Gans oder Amsel oder Drossel, welche die jüngere Tochter während ihrer prädadaistischen Phase im Kindergarten gebastelt und glücklicherweise flott vergessen hatte. Oder oder oder. Weg damit. Neuer Anfang, neues Glück, Neue Welt. Amerika.
    Eben deshalb wickelten Maik, Wolle und Jimmy noch jeden Teller und jede Vase einzeln ein in Berge von Papier, und ich fragte mich, ob nun wieder ein Stück Regenwald oder wenigstens eine veritable Schonung in Finnland würde sterben müssen nur für unseren Umzug. Wolle baute sogar noch einen Verschlag für das Klavier. Und als er fertig war, holte er Maik zu Hilfe, und gemeinsam wollten sie das Klavier stemmen, aber das Klavier wollte nicht und fiel um und Wolle auf den Fuß. Beide, Wolle und Klavier, gaben nach der Havarie merkwürdige Geräusche von sich, und Wolle versicherte an Eides statt, dass dies nun ein echter Unfall gewesen sei und keinesfalls ein Ausdruck des Protests gegen Mangelernährung. Wir mussten ihm das glauben. Er humpelte sehr glaubhaft.
    Im Laufe der Tage gewöhnten wir uns an Maik, Wolle und Jimmy, echte Jungs aus dem Leben. Und als sie endlich alles eingewickelt und verpackt und in den großen Container geladen hatten, bestellten wir zum Abschied noch sechs Pizzen. Sie wünschten uns viel Glück. Und das konnten wir gebrauchen.
    Wochen später kam unsere Sippe endlich an in der Neuen Welt. New York, John F. Kennedy-Flughafen. Wir fuhren im Mietwagen Richtung Airport-Exit und erwischten gleich die erstmögliche falsche Ausfahrt. »Das geht ja gut los«, sagte die Frau. Es war einer dieser Momente, da man für Sekundenbruchteile oder auch länger nachvollziehen konnte, warum Ehemänner im Affekt zuweilen Ehefrauen umbringen oder wenigstens ein bisschen prügeln. Zu allem Überfluss gewann an diesem Tag England gegen Deutschland in München 5:1. Die Frau genoss still. Unser erster Tag in Amerika war kein guter Tag für mich.
    In den folgenden Tagen, während unsere Möbel und ein kaputtes Klavier im Container über den Atlantik schipperten, campten wir in der Villa Kunterbunt. Wir schliefen auf Luftmatratzen. Wir hatten einen Tisch, vier Stühle, vier Teller, vier Gabeln, vier Messer, ein altes Radio. Am ersten Morgen in Amerika erkundeten die Töchter die Nachbarschaft und machten Bekanntschaft mit zwei possierlichen Streifenhörnchen und kurze Zeit später mit der Katze unserer lieben Nachbarn David und Myra. Die Katze hört auf den treffenden Namen »Bad Cat« und interessierte sich nicht sonderlich für die teutonischen Nachbarskinder, sehr wohl aber für die Streifenhörnchen. David und Myra hatten »Bad Cat« aus lauter Streifenhörnchen-Fürsorge sogar ein Glöckchen ans Halsband geheftet, auf dass die possierlichen Nager sich rechtzeitig aus dem Staub machen konnten, sobald sich die bimmelnde Katze näherte. Aber entweder waren unsere Streifenhörnchen taub oder nicht sonderlich helle. Schreie aus dem Garten, heulende Töchter, weil »Bad Cat« Streifenhörnchen eins zum Frühstück nahm. »Ich hasse Amerika«, rief die ältere Tochter, die Tierärztin werden wollte, das Streifenhörnchen aber selbst mit Mund-zu-Mund-Beatmung nicht hätte retten können. »Ich hasse amerikanische Katzen«, und es wurde auch nicht besser, als »Bad Cat« zum Mittagessen zurückkehrte und Streifenhörnchen zwei heimwärts apportierte. Schreie abermals, Tränen und Flüche über amerikanische Katzen.
    Der erste Morgen in der Neuen Welt war kein guter für die Töchter des Hauses. Aber im Laufe der Zeit nahmen sie langsam Amerika an und sogar »Bad Cat«. Sie begannen ganz langsam sogar Englisch zu reden bei kleineren Botengängen im Supermarkt, »Sugar???«. Sie begannen die City zu mögen, die Lichter, die Wolkenkratzer, die Menschenmassen. Wir fuhren aufs Empire State Building, unvermeidlich. Die Sonne ging gerade unter, die Frau sagte: »Seht ihr die beiden hohen Türme da hinten? Das ist das World Trade Center. Von da oben kann man an schönen Tagen bis nach Delaware gucken. Das sehen wir uns nächste Woche an.«
    Am zweiten Abend in Amerika saßen Frau und Mann auf der Terrasse, als unser lieber
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