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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Autoren: Michael Streck
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im Westen und dem Long Island Sound im Osten; sie tragen so putzige Namen wie Mamaroneck oder Chappaqua. Eigentlich wusste ich herzlich wenig über Westchester County, obschon Freunde von uns dort lebten und für die Region warben. Ich wusste herzlich wenig von Amerika, bereist zwar, aber nicht mehr. Und ich wusste erst recht nichts von amerikanischen Maklern, warum auch? Das Bild von deutschen Maklern reichte mir vollkommen. Mit deutschen Maklern assoziierte ich Männer in dunklen Anzügen, mit gegeltem Haar, die Füße in Lackschuhen. Verblüffenderweise sahen deutsche Makler in meiner Vorstellung so aus wie Chefredakteure des Springer-Verlages. Ich kann nicht sagen, dass mir deutsche Makler sehr sympathisch gewesen wären.
    Amerikanische Makler sahen anders aus. Die meisten waren Frauen, bis auf Frank eben, der, wenigstens das muss man ihm zugutehalten, aber auch keinerlei Ähnlichkeit mit einem Springer-Chefredakteur besaß. Judy nun ähnelte in ihrem zu engen Kostüm alpenländischen Rodlern, sie hatte fraglos Mut zur Fülle.
    Wir fuhren durch Mamaroneck und Larchmont und leider nicht nach Chappaqua, wo die Clintons leben, ergo unerschwinglich. Vor einem Haus in Larchmont parkte sie. Streng genommen parkte sie an einer vielbefahrenen Straße vor einem Holzhaus mit Seiteneingang, Miete: 4000 Dollar. Sie sagte: »Ich hatte eine Operation, ich darf keine Treppen steigen, geh doch allein.« Das ersparte Judy den strengen Gestank von Katzenpisse, der den roten Flokati-Teppichen entwich. Sie fragte: »Beautiful place?« Ich sagte nichts. Die zweite Wohnung, gehobenes Loch, an einer vierspurigen Straße, 3900 Dollar Miete. Judy sagte: »lovely place«. Ich sagte: »Unfassbar.« Erstes Schweigen in der blauen Limousine.
    Wohnungssuche in New York und Umgebung ist ein Abenteuer. Vergesst Europa. Europa ist sechstausendfünfhundert Kilometer entfernt. Und die Preise steigen mit jedem Kilometer, wie beim Taxifahren. Das ist hart für Europäer und gut für Judys Provision. Sie trank Kaffee mit Eiswürfeln aus einem Gefäß, das stark an einen Eimer erinnerte. Die Eisklumpen klapperten darin und übertönten Judys Gebiss, immerhin. Die Laune sank dennoch.
    Wir fuhren nach Port Chester in eine kleine Straße; Bäume säumten sie, an den Häusern hingen amerikanische Flaggen. Es war eine Straße, wie ich sie aus Filmen kannte. Kinder hockten auf Treppenstufen, die Männer trugen Baseballmützen, von irgendwo wehte der Geruch von Grillfleisch, auf den Terrassen standen Schaukelstühle, ein amerikanisches Idyll wie aus der Klischeekiste. Leider trügt Idylle oft. Wir betraten ein von außen idyllisches Häuschen und trafen John, Musiker aus Kalifornien, zuvor acht Jahre Mexiko City. John lebte mit Frau und drei Kindern in diesem Häuschen. In der Decke im Wohnzimmer klaffte ein Loch, Zeitungspapier lugte daraus hervor. Ein Blick an die Decke. Judy sprach: »Das wird gefixt«, 4000 Dollar Miete. Judy zeigte die begehbaren Schränke. Das heißt: Sie öffnete einfach alle Schränke, ob begehbar oder nicht, und in einem dieser Schränke, offenbar begehbar, saß ein Kind und telefonierte und sagte nur: »Tür zu!«. John sagte: »Lass uns mal rauf gehen.« Judy, »ich hatte eine Operation«, blieb unten. John hatte sich unter dem Dach eine prima Sauna eingerichtet. Eigentlich war die Sauna keine Sauna, sondern Johns Büro. Aber man konnte das Büro im Sommer auch als Sauna nutzen. Und zu konspirativen Gesprächen abseits von Judy, Parterre. »Sag mal, John, warum zieht ihr hier raus?« John entgegnete: »Guck dich nur um.« Ich bedankte mich, und er machte ein irgendwie wissendes Gesicht, aus dem Mitleid sprach. John sagte zum Abschied: »Good luck.« Judy, Parterre, sagte: »Lovely place.«
    Judy meinte das vermutlich ernst, sie muss viel gesehen haben in ihrem Makler-Leben. Amerikanische Häuser sehen im Film und auf Fotos ziemlich schön aus. Sie sind groß, wie alles in Amerika groß ist. Aber der schöne Eindruck schwindet, wenn man sie einmal betritt. Es sind Potemkinsche Häuser. Amerikaner bauen nämlich im Gegensatz zu Deutschen nicht für die Ewigkeit, sondern für den Augenblick. Häuser entstehen in diesem Land in ein paar Wochen. Das erklärt, warum Häuser in Amerika beim erstbesten Sturm gerne wegfliegen und nur noch Sperrholz übrig bleibt. Johns Haus war ein Kandidat für den nächsten Abflug, Holzklasse.
    Schweigen in der Limousine. Eiswürfel im Kaffee-Eimer, Schlaglöcher auf den Straßen, die Judys Gebiss in
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