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Stadtmutanten (German Edition)

Stadtmutanten (German Edition)

Titel: Stadtmutanten (German Edition)
Autoren: Daniel Strahl
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wünschte mir nichts mehr auf dieser Welt, als dass dieser Spuk endlich ein Ende nehmen würde und alles wieder so wäre wie vorher. Aber das würde nicht passieren. Selbst wenn die Seuche, die diesen Teil der Stadt überrannt hatte, morgen überwunden sein sollte: Nichts würde mehr so sein, wie es eigentlich sollte. Nichts würde jemals wieder in Ordnung sein. Die Welt war aus den Fugen geraten. Oh, ich war mir sicher, die Gesellschaft würde nach der erfolgreichen Überwindung der Krise einen Weg finden, mit der Situation umzugehen. Die üblichen Verdrängungsmechanismen würden einsetzten und die schrecklichen Ereignisse wären bald nicht mehr als ein böser Traum. Irgendwann würde man die Berichte für übertrieben, die Zeugen für Spinner halten und sich dabei auf die offiziellen Darstellungen berufen, die vage genug wären, um die Sache auf ein erträgliches Maß zurecht zu stutzen.
    Es war nicht die große Welt, sondern meine eigene kleine Welt, die für immer aus den Fugen geraten war. Es ist sicherlich nicht fair mir selbst gegenüber, alles auf den übermäßigen Alkoholkonsum am Vorabend der Katastrophe zu schieben. Vielleicht wäre auch ein vollkommen nüchterner und ausgeschlafener Marek Winter gebissen und infiziert worden. Aber ein Teil von mir will diese Möglichkeit nicht akzeptieren. Denn wäre ich damals im Inferno einfach gegangen, als mir danach zumute war, wären meine Chancen um ein Vielfaches gestiegen. Also schob ich mir die Schuld in die Schuhe, anstatt Mehmet, die Regierung, die Gesellschaft, oder sonst wen anzuklagen. Zu Tode deprimiert betrat ich das Haus, das einmal das Zuhause meiner kleinen Familie gewesen war. Ich schlich durch das Treppenhaus, betrat meine Wohnung und schloss die Tür hinter mir ab. Ich war endlos erledigt und legte mich im Büro auf die Pritsche, wo ich augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf wegdämmerte.
    Der Geruch von Blut weckte meine Sinne. Ich konnte durch die Zimmertür Lilas Blut auf dem Boden riechen. Die Witterung aufnehmend nahm ich ebenso Indizien der Liebesnacht von Eric und Lila wahr - den Schweiß, ihren Körpergeruch, sein Sperma. Und über allem lag der Geruch von Blut. Der Geruch weckte meinen Hunger. Ich fühlte mich, als könne ich ein Pferd verschlingen. Um mich nicht am Ende kriechend das Blut aufleckend vorzufinden, ging ich in die Küche und plünderte den Kühlschrank. Ich verschlang alles, was irgendwie nach tierischem Fett roch: Fleisch, Wurst, Käse, Milch. Als mein Heißhunger gestillt war, öffnete ich das Küchenfenster und rauchte eine Verdauungszigarette. Von außen waren Kampfgeräusche zu hören. Viel mehr als bisher. Der Hunger hatte wohl endgültig die Horden von Totenmännern und Totenfrauen auf die Straßen getrieben, wo sie auf der Suche nach Frischfleisch auf die Jagd gingen. Der Endkampf hatte begonnen. Bald würden sie zu den Grenzen des Sperrgebietes drängen und die Verantwortlichen auf der anderen Seite würden schließlich handeln müssen. So oder so, es ging dem Ende zu, genau wie meine Vorräte. Wenn ich in diesem Tempo weiter fraß, würde bald nichts mehr übrig sein. Und würde ich noch ich selbst sein, wenn ich meinen Hunger nicht mehr aus dem Kühlschrank stillen könnte? Während ich dort am Küchenfenster stand, traf ich eine Entscheidung. Wenn sie hier eintreffen würden - Totenmänner oder Soldaten - würden sie eine saubere, verschlossene Wohnung vorfinden. Die Beißer würden sie uninteressant finden und wieder abziehen. Die Soldaten würden keinen Anhaltspunkt für meinen Zustand oder die Vorkommnisse im Haus finden. Und ich würde weg sein. Ich würde meine Familie niemals der Gefahr aussetzen, von meinem dunklen Ich verspeist zu werden. Meine Frau und mein Sohn würden sich nie meiner schämen müssen, wenn die Nachbarn mitbekämen, dass ich ein Freak war, ein Monster. Es würde keinen Grund geben, sie zu meiden, zu verspotten, Kai zu hänseln.
    Ich putzte und wienerte also die Wohnung, schnallte meinen Rucksack und ging runter zu Marty, um mich zu verabschieden. Marty lag in seinem verdunkelten Zimmer auf der Couch und hatte seine Kopfhörer aufgesetzt. Es roch natürlich nach Gras. Ich freute mich, dass er keinen weiteren Unsinn mit seinem Körper angestellt hatte und stattdessen versuchte, seine Mitte wieder zu finden, indem er sich eine meditative Auszeit nahm. Ein wenig herunterfahren, die Festplatte formatieren, mal klar kommen: Das Slangwörterbuch kannte eine Menge Bezeichnungen für
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