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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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Klugscheißer, gestern abend habe ich in ihrer Kommode völlig unidentifizierbare Tabletten gefunden, und sie hat ganz merkwürdig reagiert, als ich sie darauf angesprochen habe.«
    »Hat sie sich denn sonst schon mal merkwürdig aufgeführt?«
    »Nein. Eigentlich nicht.«
    »Na, dann entspann dich doch.«
    »Das geht nicht. Meine letzte Quaalude brauche ich für morgen.«
     
    Zur gleichen Zeit versuchte Mary Ann zu entscheiden, was sie mit Norman anfangen sollte.
    Schon seit Tagen hatte sie ihn nicht mehr zu fassen bekommen. Tagsüber ließ er sich in der Barbary Lane nicht blicken, und er kehrte oft erst um drei oder vier Uhr morgens in sein Häuschen auf dem Dach zurück; Mary Ann konnte dann seine schweren Schritte auf der Treppe hören.
    Sie nahm an, daß er ziemlich heftig trank, und der Gedanke, daß sie vielleicht der Grund dafür war, setzte ihr einigermaßen zu.
    Mrs. Madrigal hatte ihm wegen der Party schon zweimal eine Nachricht an die Tür geklebt, doch er hatte nicht darauf reagiert. Offenbar war er von etwas besessen, das ihn zu einem unzugänglichen und leicht manischen Menschen machte, angetrieben von der unstillbaren Sehnsucht nach einem heiligen Gral, den außer ihm niemand sehen konnte.
    Es mußte etwas geschehen.
     
    In der Eingangsdiele des Hauses war es dunkel, als Mary Ann die Tür unter der Treppe öffnete, durch die man in den Keller gelangte. Während sie auf der Suche nach dem Lichtschalter in der Dunkelheit herumtastete, horchte sie angestrengt auf eventuelle Geräusche von der Treppe über ihr. Sie würde sterben, wenn sie bei dem, was sie tat, von jemand ertappt würde.
    Das mit Spinnweben überzogene Schlüsselbrett hing direkt unter dem Sicherungskasten. Sie mußte ein bißchen suchen, bis sie den Schlüssel mit dem Anhänger »Dachhaus« fand. So leise wie irgend möglich schloß sie dann die Kellertür hinter sich und schlich die drei Treppen zu der orange gestrichenen Tür hinauf.
    Obwohl sie genau wußte, daß Norman nicht da war, klopfte sie zweimal an die Tür. Das Geräusch hallte durch das Treppenhaus. Sie erstarrte. Ob es jemand gehört hatte?
    Es war völlig ruhig im Haus.
    Mary Ann ließ den Schlüssel ins Schloß gleiten. Das Schloß ging ziemlich hart. Sie werkelte mit dem Schlüssel herum, bis die Tür aufsprang und die Dunkelheit des kleinen Häuschens sie umhüllte.
    Binnen kürzester Zeit hatte sie den Nutri-Vim-Koffer gefunden.
Im heiligen Hain
    Der Förster, der ihnen Einlaß gewährte, würdigte Anna, die es sich auf dem Vordersitz von Edgars Mercedes bequem gemacht hatte, keines Blickes.
    Sie zwinkerte dem wie versteinert dastehenden Wächter zu, als sie an ihm vorbeifuhren.
    »Ich hoffe, er hält mich für eine Hure.«
    »Das wäre sicher keine Premiere.«
    Anna zwickte ihn ins Knie. »Für ihn oder für dich, mein Herr?«
    In dieser Frage verstand er keinen Spaß. »Du bist die erste und einzige Frau, die ich jemals hierhin mitgenommen habe, Anna.«
    Sie stellten den Wagen auf einem Parkplatz gleich neben der Einfahrt ab und machten sich zu Fuß auf ihre Odyssee.
    »Es ist vollbracht«, sagte Anna, als sie zwischen den hoch aufragenden Redwoodbäumen dahinspazierten. »Anna Madrigal im Bohemian Grove.«
    »Für mich gehörst du hier unbedingt hin.«
    »Trotzdem … danke.«
    »Ich wollte, ich wäre schon vor zwanzig Jahren auf die Idee gekommen.«
    »Vor zwölf.«
    Edgar grinste. »Vor zwölf«, wiederholte er.
    Anna hakte sich lächelnd bei ihm unter und schüttelte voller Verwunderung den Kopf.
     
    Edgar schlüpfte ganz unvermittelt in die Rolle von White Rabbit. Seine Alice blinzelte ihn mit ihren großen blauen Augen an, als er ihr die Bühne im Wald zeigte.
    »Du bist hier aufgetreten?«
    »Bei meinem Auftritt als Walküre mußte die Aufführung sogar unterbrochen werden.«
    »Du im Fummel, Edgar?«
    »Ach, was … die Griechen haben es ja auch gemacht.«
    »Die Griechen haben vieles gemacht.«
    Er lächelte. »Rutsch mir den Buckel runter.«
    »Das war bei den Griechen auch ein beliebter Zeitvertreib.«
    Edgar gab ihr einen Klaps auf den Po und jagte sie die River Road hinauf, ohne sich um den Druck zu kümmern, der ihm die Brust einschnürte.
    Die einzelnen Lager, an denen sie vorüberkamen, hießen ähnlich wie die Hochzeitssuiten im Madonna: Pink Onion, Toyland, Isle of Aves, Monastery, Last Chance …
    Edgars Lager hieß Hillbillies.
    Ein zweistöckiges Landhaus, das sich zu einem Hof mit einer Grillstelle öffnete, beherrschte diese Enklave. Edgar
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