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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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mit den Schultern. »Wo?«
    »Dort drüben?« Mary Ann deutete über die Straße auf so was wie einen Golfplatz, der von einem Netz aus Fußwegen durchzogen war. Sie wollte keine Leute um sich haben.
    Norman bot ihr mit der Galanterie eines Besoffenen seinen Arm an. Überhaupt war alles, was er tat, wie ein scheußlicher Abklatsch dessen, was sie früher an ihm bewundert hatte. Als sie sich bei ihm einhakte, unterdrückte sie ein Schaudern. Wenn es schon sonst zu nichts gut war, dann würde es wenigstens verhindern, daß er lang hinschlug.
    Sie überquerten die Straße und gingen einen abschüssigen Weg am Rand des Golfplatzes entlang. Der Nebel wälzte sich auf die Stadt zu und verwischte die Umrisse der Monterey-Zypressen auf einer Anhöhe weiter vorne. Hinter diesen Bäumen lag irgendwo der Ozean.
    Mary Ann ließ Normans Arm los. »Ich wollte unter vier Augen mit dir sprechen, Norman.«
    »Ja?« Er lächelte sie an. Offenbar schöpfte er neue Hoffnung. »Ich weiß über die Bilder Bescheid.«
    Er blieb wie angewurzelt stehen und schaute sie konsterniert an. »Hmhh?«
    »Ich habe die Bilder gesehen, Norman.«
    »Welche Bilder?« Natürlich würde er es ihr nicht leichtmachen.
    »Du weißt, wovon ich rede.«
    Er schob die Unterlippe vor wie ein schmollendes Kind und ging weiter. Schneller als vorher. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!«
    »›Wonnige Wickelkinder‹? ›Pralle Püppis‹?«
    »Du mußt verrückt …«
    »Ich weiß über dich und Lexy Bescheid, Norman!«
Rat mal, wer zum Essen kommt?
    Mona stand neben dem für vier Personen gedeckten Tisch und summte zur Beruhigung im Eilverfahren ihr Mantra.
    D’orotheas Eltern würden in zehn Minuten kommen. Und D’orothea war noch immer ahnungslos.
    »Ganz im Ernst, Mona. Ich hasse Überraschungen. Wenn du diese langweiligen Macholesben aus Petaluma eingeladen hast, kannst du meinen Teller gleich wieder wegräumen. Wie man Eichhörnchen das Fell abzieht, weiß ich selber!«
    Mona sah D’orothea nicht an. »Unsere Gäste werden dir gefallen. Das versprech ich dir, D’or.«
    Scheiße, dachte sie. Und wenn sie ihr nicht gefallen? Und wenn sie die Entfremdung noch stärker spürt als je zuvor? Und wenn die merkwürdige gemischtrassige Kleinbürgerehe der Wilsons bei ihrer Tochter unsägliche psychische Narben hinterlassen hatte?
    »Und noch was, Mona … Sobald einer deiner Secondhand-Gurus anfängt, über das Dritte Auge oder über irgendwelchen astrologischen Firlefanz zu schwadronieren …«
    »Ich geb dir eine halbe Quaalude ab, okay?«
    »Nicht mal mit Drogen kannst du mich gefügig machen, Mona.«
    Mona drehte sich weg und rückte eine Gabel zurecht. »Dann vergiß es halt.«
    »Entschuldige. Das war unfair.«
    »Wirst du wenigstens versuchen, dich wie ein zivilisiertes Wesen zu benehmen, D’or?«
    »Aber sicher. Was soll’s.«
    »Ich wünsch mir, daß es … na ja, ich wünsch mir, daß es nett wird.«
    »Ich weiß. Und ich werde mir Mühe geben.«
     
    Die nächste Viertelstunde war das Schlimmste, was Mona je durchgemacht hatte.
    Sie huschte im ganzen Haus herum und tat so, als wäre sie mit den Vorbereitungen beschäftigt, weil sie wußte, daß ihr die Angst anzusehen sein würde, sobald sie auch nur einen Augenblick stillhielt.
    Die Wilsons waren unpünktlich.
    D’orothea war oben im Schlafzimmer und schminkte sich.
    Mona ließ ihr Mantra fahren und sagte ein Kindergebet auf. Sie war gerade mit der Hälfte durch, als es klingelte. Es gab jetzt keinen Ausweg mehr. Keine Ausreden. Keinen Aufschub.
    Als sie die Haustür aufmachte, erschien D’or gerade auf dem Treppenabsatz.
    »Es tut mir leid, daß wir zu spät kommen«, sagte Leroy Wilson ruhig. »Darf ich vorstellen, das ist Mrs ….«
    Sein Blick glitt die Treppe hoch, und auf einmal bekam er ganz große und glasige Augen. »Dorothy? Um Himmels willen! Dorothy, was ist bloß mit dir …?«
    D’orothea war auf dem Treppenabsatz zur Salzsäule erstarrt. »Mona … Mein Gott, Mona, was hast du da bloß …?« Sie brach in Tränen aus, fuhr herum und stürmte wie eine Irre die Treppe hoch.
    Mona war am Boden zerstört und stand sprachlos vor Leroy Wilson und der kleinen, rundlichen Frau, die so spät ins Haus gekommen war, daß sie das bizarre Geschehen gar nicht mitbekommen hatte.
    Vor Leroy Wilson und der kleinen, rundlichen und weißen Frau. Während die Wilsons unten ratlos herumstanden, lag D’or oben in Monas Armen und heulte Rotz und Wasser.
    »Ich schwör’s dir, Mona … Ich schwöre
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