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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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schloß die Tür auf und führte Anna in den ersten Stock, wo ein Sofa und ein Natursteinkamin auf sie warteten.
    Anna lächelte verschmitzt. »Jetzt wird mir alles klar!«
    Edgar grinste wie ein Satyr.
    »Schau nicht so selbstgefällig drein, Edgar Halcyon. Mit deiner Dekadenz kann ich es noch jeden Tag aufnehmen!«
    Sie faßte in die Tasche ihrer dicken blauen Matrosenjacke und zauberte ein zierliches Zigarettenetui aus Schildpatt hervor, dem sie einen Joint entnahm.
    »Anna …«
    »Hier. Das Zeug befreit dich von allen Beschwerden.«
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Bist du da so sicher?«
    »Entschuldige. Ich … Verdammt, sonst kann ich mit Worten immer so gut umgehen.«
    Er verzieh ihr mit einem Lächeln. Sie hielt ihm den Joint weiter hin.
    »Anna … kannst du dich nicht einfach mit dem letzten Vertreter seiner Art begnügen?«
    Sie tippte sich mit dem Joint gegen die Unterlippe, bevor sie ihn in das Etui zurückschob. »Das ist eine wunderbare Idee«, antwortete sie sanft.
     
    In eine Indianerdecke gehüllt, saßen sie vor dem Kaminfeuer.
    »Wenn wir noch in der guten alten Zeit leben würden, könnten wir jetzt zusammen in die Wildnis fliehen.«
    Sie strich mit den Fingern seine weiße Mähne zurecht. »Sind wir nicht schon in einer Wildnis?«
    »Dann … in eine noch wildere Wildnis.«
    »Das wäre schön.«
    »Wir müssen nicht zurück, Anna.«
    »Müssen wir doch.«
    Er drehte sich von ihr weg und schaute in die Flammen. »Hättest du es mir gesagt, wenn Mr. Williams nicht aufgetaucht wäre?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Es war … nicht nötig.«
    »Ich finde dich immer noch schön, Anna.«
    »Danke.«
    »Was soll ich ihm heute abend sagen?«
    Anna zuckte mit den Schultern. »Sag ihm … daß seine Miete fällig ist.«
    Edgar umarmte sie lachend. »Ich möchte noch was wissen.«
    »Und zwar?«
    »Warum hast du mich nicht zu deiner Party eingeladen?«
    »Aber, woher …?«
    »Ich habe Mary Ann davon reden hören.«
    Sie lächelte ihn staunend an. »Du bist so lieb.«
    »Das war keine Antwort auf meine Frage.«
    »Wäre dir acht recht?«
    Er nickte. »Dann komme ich gleich, wenn ich mit Mr. Williams fertig bin.«
L’art pour l’art
    Die Erinnerungsbilder, die Mary Ann an diesem Vormittag durch den Kopf gingen, verschmolzen zu einem höllischen Wirrwarr. Getrieben von der Schreckensvorstellung, sie könnte Norman im Treppenhaus begegnen, stahl sie sich aus dem Haus und rannte die Barbary Lane hinunter zur Leavenworth Street. Dort hielt sie das erste Taxi an, das sie kriegen konnte. »Wohin?«
    »Äh … Was wär denn ein gutes Museum?«
    »Das Legion of Honor?«
    »Ist das da draußen hinter der Brücke?«
    »Genau. ’ne Menge hübsche Sachen von Rodin.«
    »Okay.« Das paßte wunderbar. Sie lechzte jetzt nach Kunst … und nach Schönheit … und nach allem Hehren, das ihr über den schlimmsten Heiligen Abend ihres Lebens hinweghelfen könnte.
     
    Mary Ann spazierte fast eine Stunde lang durch das Museum und trat dann wieder hinaus ins wohltuende Sonnenlicht des kolonnadenumsäumten Hofes. Sie setzte sich auf den Sockel zu Füßen des Denkers, bis sie die sonderbare Ironie dieser Szene bemerkte und sich ins Café Chanticleer im Inneren des Museums zurückzog.
    Nach drei Tassen Kaffee kam sie zu einem Entschluß.
    Nahe dem Eingang fand sie im Erdgeschoß eine Telefonzelle. Sie zerrte Normans Nutri-Vim-Visitenkarte aus ihrer Handtasche und wählte die Nummer, die mit Bleistift auf die Rückseite gekritzelt war.
    »Ja?«
    »Norman?«
    »Ja?«
    »Ich bin’s, Mary Ann.«
    »Hallo.« Er hörte sich betrunken an, sehr betrunken.
    »Ich habe … ein Problem. Und ich hatte gehofft, daß wir beide uns gleich treffen könnten.«
    Nach einer Pause sagte er: »Klar.« Trotz der Fakten, die sie inzwischen kannte, fand sie es abscheulich, wie sie seine Gefühle ausnützte.
    »Ich bin hier draußen im Palace of the Legion of Honor«
    »Kein Problem. In einer halben Stunde bin ich da, okay?«
    »Okay. Norman?«
    »Hmh?«
    »Fahr vorsichtig, hörst du?«
     
    Sie stellte sich auf dem Parkplatz neben eine Statue mit dem Titel Das Schattenreich und wartete auf ihn. Norman hievte sich mit übertriebener Würde aus dem Falcon. Er hatte schwer einen sitzen.
    »Na, wie gehs so?«
    »Ganz gut, ganz gut.« Warum sagte sie so was? Warum war sie freundlich zu ihm?
    »Willss du ins Museum?«
    »Nein danke. Ich war schon den ganzen Vormittag drin.«
    »Oh.«
    »Könnten wir nicht ein bißchen rumlaufen?«
    Norman zuckte
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