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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1
Autoren: Jonathan Tropper
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verstanden habe.« »Verstehe.«
    Owens ungenierte, regelmäßige Kontakte zu Callgirls der gehobeneren Klasse sind in der Verlagsbranche legendär. Im Augenblick arbeitet er die »Sinnliches-Rollen-spiel«-Anzeigen auf den letzten Seiten des New York-Magazins durch, wobei er mir nach jeder neuen Begegnung fröhlich Bericht erstattet.
    »Fährst du jetzt nach Falls hoch?«, fragt er. »Falls« ist ein Ausdruck, den nur die Einheimischen verwenden, und es ist typisch für Owen, sich auf diese Weise einzuschmeicheln.
    »In diesem Augenblick.«
    »Naja, ich hoffe, deinem Dad geht's besser.«
    »Danke«, sage ich, auf einmal schuldbewusst, als würde ich vielleicht eine Art Betrug begehen, indem ich Genesungswünsche im Namen meines Vaters entgegennehme. »Hast du die Seiten bekommen?«
    »Sie haben mich heute Morgen hier erwartet«, sagt er nach einer winzigen Pause. Owen ist im Allgemeinen kein Mann, der zu Pausen neigt.
    »Hast du sie gelesen?«
    »Habe ich.«
    Angesichts des Erfolgs, den wir mit Bush Falls genossen haben, konnte Owen mein neues Manuskript, das ich ihm das ganze letzte Jahr versprochen hatte, kaum erwarten. Genau genommen hatte ich es schon vor etwa sechs Monaten fertig gestellt, diese Information allerdings zurück-gehalten, da ich von dem fertigen Produkt nicht besonders begeistert bin. Die herkömmliche Meinung über Romane ist Owen zufolge die, dass Erstlinge im Allgemeinen in hohem Maße autobiografische Werke sind, und meiner hat mit Sicherheit nicht dazu beigetragen, an dieser Vorstellung zu rütteln. Es ist der zweite Anlauf, der das Können und die Bedeutung eines Autors auf dem Literaturmarkt bestätigt, denn das ist theoretisch das Werk, in dem der Autor seine Fantasie und seine Stimme gekonnt einsetzen muss, um etwas aus dem Nichts zu schaffen. Die Verlagswelt ist mit Blut umspült von den aufgeschnittenen Pulsadern all der Eintagsfliegen.
    »Du hasst es«, sage ich.
    »Nein.« Ich höre das unverwechselbare Knirschen und Klicken seines Feuerzeugs. »Genau genommen gibt es da ein paar wundervolle Passagen.«
    »Über diesem Satz hängt ein großes >Aber<.« Owen seufzt. »Ich habe dich noch nie in den magischen Realismus eingeordnet.«
    »Ich setze es nur sparsam ein«, entgegne ich. »Es ist eine atmosphärische Einbildung.«
    »Es ist eine anmaßende Abschweifung«, sagt Owen wegwerfend. »Sieh mich doch an, wie ich für die Literatur kämpfe! Es klappt nicht. Der magische Realismus ist keine Bewegung oder Technik. Er ist ein Akt der Neuheit, und die Neuheit ist längst vorbei. Die Leser tolerieren es bei Marquez und Calvino, weil die New York Times es ihnen sagt. Du bist ein Jude aus Manhattan, und niemand wird es dir durchgehen lassen. Es ist Blödsinn.«
    »Warum sagst du mir nicht, was du wirklich denkst?« »Ich denke, du bist ein zu guter Schriftsteller, um deine Zeit mit experimentellem Postmodernismus zu verschwenden.«
    Ich klopfe seine Bemerkung auf einen möglichen herablassenden Unterton ab und komme zu dem Schluss, dass er es ehrlich meint. »Naja, davon abgesehen, wie findest du die Erzählung?« Davon abgesehen, Mrs. Lincoln, wie fanden Sie die Aufführung?
    »Ehrlich, Joe, ich finde, der Stoff ist unter deinem Niveau.«
    Es ist wirklich schockierend, wie er es mit einem einzigen Satz schafft, in Worte zu fassen, was ich seit einem halben Jahr erfolglos zu Papier zu bringen versuche. In dem Roman - Arbeitstitel: Hier beginnt es - geht es um einen Jungen, der das College hinschmeißt, um einer Grateful-Dead -ähnlichen Band für ein paar Monate durchs Land zu folgen, zusammen mit einer Frau, die er eben erst kennen gelernt hat. Er flieht vor seiner privilegierten Erziehung, und sie flüchtet vor einem prügelnden Ehemann und der Polizei. Romanze und Chaos entspinnen sich vor dem batikgefärbten Hintergrund der Rock-and-Roll-Beduinen-Kultur. Nicht der originellste Schauplatz der Welt, aber ich habe den Roman wirklich mit den besten literarischen Absichten begonnen, soll heißen, ich wollte eine zeitgenössische Liebesgeschichte erzählen und gleichzeitig untersuchen, wie sich die Leute gegen das unsichtbare Klassensystem in Amerika auflehnen. Die knappe Kombination zweier Hauptfiguren, die einzig und allein um ein universelles Thema kreisen, hätte mich bei der Story halten sollen, ohne übertriebenen Ehrgeiz zu entwickeln. Aber Bush Falls wurde verfilmt, während ich an Hier beginnt es schrieb, und es lässt sich nicht leugnen, dass der Film mein Schreiben verzerrt hat. Ich
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