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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1
Autoren: Jonathan Tropper
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schmutzige Spekulationen blieb.
    Lucy Haber, Sammys Mutter, tat nichts, um die Gerüchte einzudämmen. Sie war auf eine wilde Art schön, mit dichtem, rotbraunem Haar, das sie lang und offen trug, weiten, unkomplizierten Augen und auffällig weißer Haut, die einen perfekten Kontrast sowohl zu ihrem Haar als auch zu ihren unerhört vollen Lippen bot, die stets den Anblick eines gedankenlos geformten Schmollmunds boten. In ihren Plateausandalen, den langen, wallenden Röcken und den eng anliegenden, tief ausgeschnittenen Tops verströmte sie eine lässige, bohemehafte Sexualität, wenn sie gedankenverloren und leise vor sich hin summend an den Geschäften in der Stratfield Road vorbeischlenderte. Die Mütter in Connecticut zeigten im Allgemeinen nicht viel Dekollete, wenn sie einkaufen gingen. Die Bush-Falls-Ästhetik neigte eher zu Banana-Republic-Blusen, die ordentlich in Ann-Taylor-Hosen gesteckt wurden. Ein Dekollete wurde, wie das gute Porzellan, für besondere Anlässe reserviert, und selbst dann nur sparsam zur Schau gestellt. Aber Lucy Haber schien die gehässigen Blicke der Frauen, an denen sie vorüberging, oder die anerkennenden, musternden Blicke, die sie von den Männern einfing, gar nicht zu bemerken. Alle waren sich einig, dass sie viel zu jung zu sein schien, um einen Sohn in Sammys Alter zu haben, und es war zweifellos ihre überbordende Sexualität, die dafür verantwortlich war, zusammen mit dem geheimnisvollen Ärger damals in New York. Einen Mr. Haber gab es offensichtlich nicht, was natürlich perfekt war.
    In diesem Sommer arbeitete ich, wie jeden Sommer, in der Fabrik für Werbemittel, die mein Vater am Stadtrand von Bush Falls betrieb. Mein Vater war einer der wenigen Männer in der Stadt, die nicht direkt bei P. J. Porter's angestellt waren, der riesigen Discount-Kaufhauskette, die ihren nationalen Firmensitz in Falls hatte. Mit über siebenhundert Niederlassungen landesweit, in denen von Bekleidung, Kosmetik und Schmuck bis hin zu Möbeln und größeren Haushaltsgeräten alles verkauft wurde, war P. J. Porter's einer der größten Arbeitgeber in Connecticut. Bush Falls war ursprünglich als geplante Siedlung für die Angestellten des Einzelhandelsgiganten errichtet worden, dessen Firmengelände auf rund siebzig Acres ein paar Meilen nördlich der Stadt selbst lag und über eintausend Büros beherbergte. In fast jeder Familie in Bush Falls gab es mindestens ein Mitglied, das für Porter's arbeitete. Es war bekannt, dass Porter's bevorzugt Leute aus der Siedlung einstellte, und sie betrieben ein äußerst erfolgreiches Ferienjobprogramm mit der Highschool von Bush Falls.
    Mein Vater hatte ursprünglich als Einkaufsleiter für Porter's gearbeitet, bevor er sich mit der Herstellung von Werbemitteln selbstständig machte. Porter's wurde in der Folge sein wichtigster Kunde, dank der Freunde, die er dort hatte und die all ihre Werbeartikel und Verpackungen bei ihm bestellten. Damit war er zwar nicht weniger abhängig von Porter's als zu der Zeit, als er dort angestellt war, aber er war jetzt sein eigener Boss, eine Unterscheidung, auf die er überaus stolz war und die er bei jeder Gelegenheit nur zu gern hervorhob.
    Und so arbeiteten meine Klassenkameraden als Sommerpraktikanten bei Porter's, während ich meinen Platz neben den gebeugten peruanischen Einwanderern einnahm, aus denen die Belegschaft meines Vaters bestand, und eine der hydraulischen Vakuumpressen bediente. Meine Arbeit bestand ausschließlich darin, kontinuierlich eineinhalb Quadratmeter große Styrolplatten auf die Presse zu laden, die Aluminiumformen darunter zu setzen, dann die Presse zu senken und die Heizplatte und die hydraulischen Pumpen zu aktivieren, die das Styrol zum Schmelzen brachten und in die Formen pressten. Dann hob ich die Presse, zog das heiße Styrol ab, das nun die Gestalt der Formen angenommen hatte, schnitt das überstehende Plastik mit einem Kartonmesser ab und warf das rohe Stück auf einen Wagen, der in regelmäßigen Abständen für die Zusammensetzung und Endfertigung in die Fabrikhalle hinausgerollt wurde. Es war eine schweißtreibende, monotone Arbeit, und ich schlurfte jeden Nachmittag mit steifen Schultern und nach verbranntem Plastik riechend nach Hause, wobei ich mir immer wieder sagte, dass ich wenigstens keinen Anzug tragen musste. Vermutlich aus Stolz bezahlte mich mein Vater immer geringfügig besser als Porter's seine Sommerpraktikanten. »Dein alter Herr ist keine Speiche im Rad einer anderen
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